Heiko Antoniewicz Geschmackssachen

August 2021 Ich treffe Heiko Antoniewicz in seiner Seminarküche in Dortmund. Der beste Molekularkoch Deutschlands kocht gerade einen sehr leckeren Kaffee.

M Setz dich doch mal bitte in deinen Maschinenpark

H Ich mag Technik, aber ich schaue mir an, ob sie uns weiterbringt. Ich schaue, ob wir unserer Küche geschmacklich etwas Gutes tun können und ob es für uns eine sinnvolle Weiterentwicklung gibt. Wir hätten diese Laborgeräte sonst nicht hier stehen. Diese Geräte sind nicht gerade billig, so ein Verdampfer kostet ein paar Tausend Euro. Da überlegst du dreimal, ob du so ein Gerät einsetzt. Du kannst damit Aromen generieren, die früher undenkbar waren. Wir haben ein Waldaroma entwickelt, das erdig riecht. Oder wir haben einen Rotwein gemacht, nur aus Wasser und Aromen. Klar und ohne Alkohol.

M Waldbodenaroma bekommst du in dem du Waldboden destilierst?

H Ja genau, etwas Waldboden und Moose, vielleicht ein paar Blätter dazu. Das sind Dinge, die sehr ungewöhnlich klingen. Aber ich glaube, Generationen vor uns haben das ganz intuitiv ähnlich gemacht. Wenn früher das Feuer mit trockenem Laub angezündet wurde und der Braten darüber lag, hat der das Aroma von dem Laub angenommen. Ich glaube, unsere Küche entwickelt sich zurück zu den Wurzeln. Und das mit den technischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Ich glaube, in dreißig Jahren werden wir eine Küche haben, die der unserer Urgroßmütter ähnelt. Sehr regional. Hier im Ruhrgebiet, wird es keine Meeresfische mehr geben, es werden Süßwasserfische sein, oder Fisch aus Aquakultur. In Iserlohn züchten sie jetzt schon Störe und verkaufen Kaviar.

M In Bayern züchten sie Garnelen.

H Das geht alles, man muss sich nur genau anschauen, ob das ökologisch ok ist. Klar, jeder hinterläßt einen Fußabdruck, so grün der auch ist.

„Wir sind Teil eines Kreislaufes, das muss uns immer bewußt sein.“

M Wir müssen nun mal konsumieren, um zu leben.

H Wir sind Teil eines Kreislaufes, das muss uns immer bewußt sein. Wenn wir rausgehen und sammeln oder ernten, muss immer klar sein, dass wir nicht alles wegnehmen dürfen. Wir müssen lernen zu teilen. Mit anderen Menschen, aber auch mit der Natur. Du musst etwas stehen lassen, sonst wächst nichts nach. Man sollte nur nehmen, was man wirklich braucht. Wenn man überlegt, wieviele Lebensmittel gar nicht in den Handel kommt, weil sie nicht der Norm entsprechen. Das ist pervers. Und von dem was im Laden ankommt, wird auch noch jede Menge weggeworfen. Was wir wirklich verbrauchen, sind, da schwanken die Zahlen, nur 20 bis 30% der Lebensmittel. Alles andere bleibt auf den Feldern oder geht in die Recyclingtonne. Und wir machen uns mehr darüber einen Kopf, was wir nicht essen können, als darüber, was wir kulinarisch für uns nutzen könnten. Sonnenblumen zum Beispiel. Die kannst du essen. Und ich meine nicht die Wurzeln oder die Kerne, sondern den Blütenkopf. Der sieht wie eine Artischocke aus und schmeckt auch ähnlich.

M Und wie bereitest du sie zu?

H Ich schäle sie und brate oder koche sie dann wie eine Artischocke. Die Blütenblätter kannst du auch essen. Die erinnern mich beim ersten Biß, beim Nachschmecken immer an grünen Apfel. So als würdest du in einen Granny Smith beißen. Du kannst die Blätter trocknen und auf einen Salat geben. Diesen Umgang mit den Produkten haben wir nicht gelernt. Wenn ich mir die Ausbildungsinhalte anschaue, dann ist immer Fleisch im Fokus. Das ist Quatsch. Ich glaube, der Fleisch-Peak ist überschritten. Wir kümmern uns jetzt um die Veredelung, also wenig, aber gutes Fleisch noch besser zu machen. Auf der anderen Seite bauen wir unsere Küche jetzt auf Gemüse auf.

M Was heißt wir, in dem Zusammenhang?

H Mein Team und ich. Ich habe heute vier Mitarbeiter. Wir sind klein genug um Großes zu machen.

M Was ist genau das Geschäftsmodell?

H Wir haben mehrere Bereiche. Einmal Training und Workshops. Für Profis und interessierte Hobbyköche. Wenn wir Kurse für Amateurköche machen, ist uns der Wissenstransfer wichtig. Der zweite Bereich ist die Produktentwicklung zum Beispiel für Hotels oder Cateringunternehmen. Im Moment sehr viele vegane Sachen.

M Auch für die Lebensmittelindustrie?

H Manchmal bekomme ich von großen Firmen ein Produkt und soll daraus ein neues Rezept entwickeln oder ich steige früher ein, wenn es bei einer Produktentwicklung um Geschmack geht. Ich sollte mal mit einem neuartigen Joghurt vier Gerichte entwickeln. Die Molkerei hat diese an ihre Kunden und an Köche weitergegeben, damit sie eine Idee bekommen, wie man mit dem neuen Produkt umgehen kann.

M Als der Absinth wieder auf den Markt kam, hast du auch mal so etwas gemacht.

H Oh ja, das ist schon lange her. Da haben wir ein Absinth-Kochbuch gemacht. Das war das erste Buch, das ich gemacht habe. Es waren vierzig Rezepte mit Absinth darin oder mit Sachen, die man sehr gut zum Absinth essen kann.

M Absinth war ja lange verboten. Das ist ein Schnaps, der ist hart im Alkohol aber auch heftig im Anisgeschmack. Der hatte nicht gerade einen guten Ruf.

H Es gibt viele Dinge, die sind negativ belegt. Aromen sind negativ belegt, wegen der künstlichen Aromastoffe. Dabei hat jedes Produkt ein Aroma. Auch der Kaffee den wir gerade trinken, hat einen Duft und ein Aroma. Auch Geschmacksverstärker haben einen schlechten Ruf, aber auch jedes natürliche Lebensmittel hat Geschmacksverstärker. Wir essen fast alle gerne Parmesan und freuen uns, dass der so lecker ist. Da ist sehr viel natürliches Glutamat drin. In unserer Küche differenzieren wir, es gibt ein natürliches Glutamat und es gibt das industrielle. Letzteres nehmen wir nicht in die Hand. Ich weiß aber, woher ich das natürliche bekomme und nutze das für meine Rezepte. Die Produktentwicklung ist teuer für die Lebensmittelunternehmen. Das können sie mit uns deutlich abkürzen. Inzwischen habe ich viel Erfahrung damit, Rezepte, die ich hier in meinem kleinen Topf anrühre, auch für große Mengen in der Produktion umsetzbar zu machen. Üblicherweise dauert eine Produktentwicklung zwei bis drei Jahre, wir können das auf ein Jahr verkürzen.

M Fehlt dir da bei der vielen Beratung nicht manchmal das Kochen?

H Wir machen ja noch die Caterings, aber nicht mehr als dreißig pro Jahr. Die Kunden kommen mit sehr speziellen Wünschen zu uns. Die wollen wirklich uns, sie haben sich im Vorfeld schon mit unserer Küche beschäftigt. Zumeist sind das Foodies, die richtig Spaß am Essen und Kochen haben. Das ist toll.

M Die Gastronomie hat durchaus einen schlechten Ruf. Oft wird über Ausbeutung geklagt. Wird nicht genug verdient, reichen die Umsätze nicht?

H Wir bekommen oft nicht die Preise, die wir brauchen. Ich glaube, wir haben nach diesen anderthalb Jahren der Pandemie es als Branche wieder verpasst, gemeinsam unsere Preise anzuheben. Nicht umsonst sind ja viele Gastronomen durch die Pandemie gebeutelt, weil sie keinerlei Rücklagen bilden konnten. Ich meine, wir sollten nicht teuer werden, aber das verlangen, was es wert ist. Du kannst kein Rinderfilet für zwanzig Euro verkaufen, da legst du drauf.

M Und holst dir das über den Wein dann wieder rein.

H Aber es trinkt ja auch niemand mehr Wein.

M In Frankreich kalkulieren die Restaurants anders.

H Dort ist das Essen im Vergleich zu hier teurer, aber die Getränke sind günstiger. Die Deutschen fragen sich, wenn sie aus dem Urlaub kommen, warum die Weine hier so teuer sind. Wir hier haben über Jahre versucht, unsere Kalkulation über die Getränke auszugleichen. Das ist völlig falsch. Wenn du im Einkauf für ein Stück Fleisch zehn Euro bezahlst, muss das am Ende mindestens 30 Euro kosten. Du hast ja schließlich Aufwand, du bekommst das Fleisch ja nicht als fertigen 150 Gramm Zuschnitt. Und du musst Rücklagen bilden können. Es gibt Gastronomen, die haben ihr ganzes Leben hart gearbeitet und es bleibt am Ende nichts über.

„Wir sollten nicht teuer werden, aber das verlangen, was es wert ist.“

M Ich war mal beim Joachim Wissler im Vendome in Bergisch Gladbach, da kostet ein fünf Gänge Menü 240 Euro, die acht Gänge aber nur 285, da stimmt doch etwas nicht?

H Wenn du in Frankreich vier Gänge hast, bist du bei 240 Euro und wenn du noch einen Gang drauflegst bist du bei 300, Punkt. Das ist wirtschaftlich. Schau dir manche Küchen an. Da stehen zehn Köche für zwanzig Gäste. Und draußen im Service springen noch einmal zehn Menschen rum. Zwanzig Gäste und zwanzig Mitarbeiter. Das ist verrückt, wie will man das machen, wenn da nicht ein Sponsor hinter steht. Ich bin aber froh, dass es diese Art der Gastronomie gibt. Sie sind die Speerspitzen für uns Köche. Viele junge Köche folgen denen und wollen das auch erreichen. Alle, die mal in diesen Restaurants gearbeitet haben, verstehen danach, worum es geht. Es wird Wissen geteilt und weitergegeben. Das hat uns jahrelang gefehlt.

M Ich war neulich bei Douce Steiner in der Küche. Sie hat die Coronazeit genutzt, um über ihre Arbeit nachzudenken und zu verändern. Sie hat ihren Laden extrem entschleunigt. Sie hat jetzt nur noch an vier Tagen in der Woche geöffnet und hat das Mittagsservice abgeschafft. Und es läuft dennoch, auch ohne Sponsor. In ihrer Küche geht es ruhig, freundlich und wertschätzend zu. Sie sagt, dass sich die Qualität der Teller noch einmal verbessert hat.

H Schreien und Stress in der Küche haben noch nie geholfen. Unruhe in der Küche führt zu noch mehr Unruhe. Es passieren dann deutlich mehr Fehler. Du wirst doch auch nicht besser bei der Bildbearbeitung, wenn jemand hinter dir steht und dich anbrüllt.

M Wie habt ihr die Coronazeit überstanden? Hat geholfen, dass ihr verschiedene Standbeine habt? Ich kann mir vorstellen, dass es in der Produktentwicklung in der Pandemie sogar besser lief, weil die Menschen mehr zuhause gegessen haben.

H Wir haben unser eigenes Portfolio erweitert. Wir haben unsere Gerichte in Gläser gefüllt. Gut gekochtes Essen, ohne irgendeinen Quatsch drin. Die Gerichte lassen wir jetzt sogar produzieren. Mein Vorteil ist, dass ich in diesem Bereich viel Erfahrung habe. Wir kochen diese Rezepturen erst im kleinen Maßstab und übertragen sie dann auf größere Mengen. Ich habe mit meiner Liebsten ein Unternehmen gegründet, das heißt Kulinarkiste, da verschicken wir Menüs bundesweit. Gerade gehen wir mit der Kulinarkiste einen ganz neuen Weg. Wir haben Kooperationen mit Winzern geschlossen. Wir fahren hin, probieren die Weine und kochen dann etwas dazu Passendes. Das ist so, als würdest du im Restaurant die Weinkarte nehmen, etwas aussuchen und den Koch dann bitten, sich zum Wein etwas einfallen zu lassen. Also genau andersrum als sonst.

M Du machst den Sommelier arbeitslos!

H Vielleicht (lacht). Aber im Ernst, ich finde das so viel spannender. Vor vielen Jahren habe ich mal auf einem Weingut gegessen. Es gab dort einfache Küche, aber diese perfekte Harmonie mit den Weinen, habe ich selten noch einmal erlebt. Die Köchin kannte ganz genau ihre Weine und machte die Küche dazu. Und nichts anderes machen wir jetzt mit den Winzern. Zuerst erzählen uns die Winzer von sich, ihrer Philosophie und ihren Vorlieben und dann probieren wir die Weine. Dann kannst du wirklich ein Menü perfekt auf die Weine zuschneiden.

M Wie funktioniert das praktisch, du probierst den Wein und analysiert den Geschmack, was dann?

H Du schmeckst etwas und denkst spontan an etwas passendes. Jeder, der sich viel mit Essen und Trinken auseinandersetzt, hat ein kulinarisches Gedächtnis. Meines ist extrem gut, was das Essen betrifft, ich kann mir wirklich viele Geschmäcker merken. Ich weiß auch immer noch, wann ich irgendwo was gegessen habe und wie es geschmeckt hat. Wenn ich ein Getränk probiere, habe ich sofort eine Idee, was ich dazu kochen möchte. Das ist ein Impuls.

M Essen hat viel mit dem Unterbewusstsein zu tun, funktionieren kulinarische Kindheitserinnerungen und Leibspeisen so?

H Genau, aber ich muss sagen, dass ich nicht nur gute Erinnerung an das Essen meiner Kindheit habe. Wenn ich im Hausflur die Graupensuppe gerochen habe, wollte ich am liebsten umkehren. Dicke Bohnen fand ich fürchterlich. Aber ich habe den Apfelpfannkuchen und die Rouladen meiner Mutter geliebt.

M Wenn du eine Aufgabe, wie zum Beispiel dieses Absinthkochbuch beginnst, wie gehst du da vor?

H Zum einen kannst du über die Aromenanalytik gehen. Dann kannst du aus deinen eigenen Arbeiten, aus deinen eigenen Erfahrungen schöpfen. Und du schaust in die Länderküchen, weil in den Regionen, aus denen die Getränke stammen, gibt es immer auch passendes Essen. In Lateinamerika wird Avocado mit Kaffee kombiniert, deswegen würzen wir unsere Guacamole oft mit Kaffee. Du brauchst Mut zum Würzen und Abschmecken.

M Es gibt ja diese Regel in der französischen Küche, dass alles „equilibré“ sein soll, also harmonisch ausbalanciert schmecken soll. Das ist doch eigentlich nicht sehr spannend?

H Früher wollten wir alle sehr komplexe Gerichte machen, das war, ohne despektierlich zu sein, eher eine Gulaschküche. Alles war konzentriert und musste vor allem vollmundig sein. Heute wollen wir eine bestimmte Spannung im Essen, wir setzen Akzente. Natürlich ist das dann am Ende auch harmonisch, aber bei weitem nicht so kräftig. Und nicht mehr so salzig wie früher. Heute kochen wir aromenorientiert. Ich habe in Asien angefangen über Salz nachzudenken. Meine Gäste dort haben alle gestaunt, wie salzig mein Essen war. In Asien wird mehr mit Gewürzen und Aromen gearbeitet und natürlich mit Geschmacksverstärkern, das ist die andere Seite.

M Dashibrühe ist doch so ein natürlicher Geschmacksverstärker, sie schmeckt fast nach nichts, boostert aber die Aromen.

H Genau, durch das natürliche Glutamat der Kombualge. Unseren Hühnerfond machen wir nur noch aus drei Zutaten. Huhn, Wasser und etwas Sojasauce. Das war es. Das ist auch gut für das Thema Allergien. In der Ausbildung haben wir gelernt, dass in jede Brühe Senfsaat und Sellerie gehören, das sind harte Allergene, die brauche ich nicht mehr.

M Ich mache mein Dashi selbst, ich habe sogar einen japanischen Hobel für das Katsuobushi.

H Das ist der geräucherte und fermentierte Thunfisch. Man kann Dashi auch vegetarisch mit getrockneten Shitake Pilzen zubereiten.

M Stichwort Klimawandel, Ernährung ist Teil des Problems, so wie wir Lebensmittel produzieren, geht es eigentlich nicht weiter. Denkst du auch über solche Themen nach und wie sehen die Auswege aus, die du siehst?

H Mein Beispiel eben mit der Sonnenblume ist so ein Gedanke. Oder der Raps, den kannst du früh ernten und essen wie Spargel. Er wächst dann weiter. Du könntest fünfmal im Jahr Raps ernten, mit unterschiedlichen Produkten. Aber alles was wir jetzt mit dem Raps machen ist Biodiesel und Öl. Und den Presskuchen geben wir dem Vieh. Darin ist so viel Protein, dass man das eigentlich anders verwerten müsste. Auch der Lauch, den schneidest du und stellst ihn ins Wasser, der wächst dann nach. Die Natur ist total clever und das setzen wir als Mensch nicht ein.

M Es fühlt sich oft an, wie ein Kulturkampf. Neulich zum Beispiel, als VW in einer der vielen Kantinen die Currywurst abgeschafft hat, ging das fett durch die Presse. Sogar der Altkanzler hat sich eingemischt.

H Es ist ja auch ein schwieriges Thema. Willst du die Leute erziehen?

M Aber die Deutschen essen doch viel zu viel Fleisch, sowohl aus ökologischer, als auch gesundheitlicher Sicht. Wie glaubst du, kann man da auf die Menschen einwirken?

H Ich wünsche mir den Sonntagsbraten zurück, so wie früher, da gab es einmal in der Woche Fleisch. Meine Oma hat das völlig anders annonciert, da gab es Gemüse mit Kartoffeln und dazu Braten. Das ist eine andere Wahrnehmung, Fleisch ist Beilage und nicht der Hauptdarsteller auf dem Teller.

„Wir gehen mit der Welt um, wie mit einer Fernbedienung. Wir wissen, die Batterie ist leer, wir drücken aber immer fester auf die Knöpfe, in der Hoffnung, dass sich doch noch etwas bewegt.“

M Fleisch ist einfach zu billig, auch durch die vielen Subventionen. Und die Bauern haften ja auch nicht für die Schäden, die sie zum Beispiel im Grundwasser durch Überdüngung anrichten. Fleisch ist de facto gar nicht so billig, wie es verkauft wird.

H Ja, das finde ich auch. Es gab in NRW mal den Plan, einen Mastbetrieb für 600.000 Schweine zu bauen, unvorstellbar! In Dortmund leben 600.000 Einwohner. Man muss sich die riesige Produktion vorstellen, von den kleinen Ferkeln, über die Muttersäue, das Mästen und dann das Schlachten. Da zieht sich das Tierleid komplett durch. Wir können weiter Fleisch essen, aber es muß gutes Fleisch sein. Und es muss auch wieder teurer werden, schon damit die Wertschätzung wieder steigt. Immerhin stirbt ja ein Lebewesen für dich. Das muss man sich immer bewußt machen.

M Für Ökobauern gilt die Regel, dass sie ihre Tiere mit auf dem Hof produzierten Futter ernähren müssen, da müssten wir für alle hin. 600.000 Schweine kannst du nur mit Soja aus den Tropen ernähren. Und dafür geht der Regenwald drauf. Wir fahren die Welt gerade brutal an die Wand und bremsen tut niemand.

H Ich finde ein Bild sehr gut: Wir gehen mit der Welt um, wie mit einer Fernbedienung. Wir wissen, die Batterie ist leer, wir drücken aber immer fester auf die Knöpfe, in der Hoffnung, dass sich doch noch etwas bewegt und doch noch Strom fließt. Ich will die Hoffnung aber auch nicht verlieren. Ich will nicht die ganze Welt verbessern, aber ich will meinen Anteil beitragen. Zweimal im Jahr ernähre ich mich für sechs Wochen nur mit Gemüse. Die ersten zwei Wochen esse ich basisch-vegan, dann vierzehn Tage vegan und die letzten Wochen vegetarisch um in den Fleischkonsum langsam wieder reinzukommen. Ich kann danach besser schmecken und besser schlafen. Ich verliere jedesmal zwischen fünf und acht Kilo, ohne dass ich exzessiv Sport mache. Wir haben ein Buch nur über Gemüse gemacht. Das hätte ich, glaube, ich nicht machen können, wenn ich mich nicht zweimal im Jahr so ernähren würde. Früher, bei meiner Ausbildung, ging vegetarisch so: Als Vorspeise ein Salatteller, als Hauptgang ein Gemüse mit Ei drauf. An veganes Essen hat man damals noch gar nicht gedacht. In der Küche gab es immer ein Riesengeschrei, wenn jemand vegetarisches Essen bestellte. Inzwischen ist das aber akzeptiert. Themen brauchen Zeit, um sich zu etablieren. Als wir mit der molekularen Küche begonnen haben, haben die Traditionalisten gerufen, hört auf mit dem Quatsch. In den Neunzigern bei der Euro-Asiatischen Küchen: Hört auf mit dem Quatsch. Als Bocuse seine Nouvelle Cuisine entwickelt hat, gab es auch welche, die riefen hör auf mit dem Quatsch.

M Der war schon der Größte, oder?

H Ja, aber es gibt auch viele andere, die die Küche maßgeblich beeinflußt haben. Bocuse war einer und die Brüder Troisgros, aber auch Eckhart Witzigmann in Deutschland oder Ferran Adria, der Molekularpionier. Es gibt viele die eher im Stillen gearbeitet haben. Otto Koch zum Beispiel, er hatte das „Le Gourmet“ in München. Er hat als erster Meeresfrüchte-Weißwurst gemacht, also Kulinarik mit Regionalität verbunden. Auch Gerhard Wagner, für den ich gearbeitet habe. Der hat 1985 die neu deutsche Küche ausgerufen und ist damals dafür belächelt worden.

M Wer glaubst du, ist jetzt in Deutschland ganz vorne?

H Die Breite der Qualität ist extrem gewachsen. Früher gab es drei Restaurants mit drei Sternen in Deutschland, heute sind es zehn oder elf.

M Und ungefähr 35 Restaurants mit zwei Sterne, was nicht nichts ist. Erstaunlicherweise ist Douce Steiner sehr lange die einzige Frau mit zwei Sternen gewesen.

H Ich finde es schade, dass so wenige Frauen in den Küchen so hoch dekoriert sind.

M Was denkst du, woran das liegt?

H Das kann ich mir nicht erklären. Es gibt so tolle Köchinnen. Anne-Sophie Pic in Frankreich oder Dominique Crenn in Amerika. In ihren Küchen ist auch die Atmosphäre viel besser. Ich weiß wirklich nicht, warum so wenig Frauen so hoch kommen, zumal die Küche, bevor sich die Männer diese Domäne geschnappt haben, ja auch von Frauen geprägt wurde, in den Schlössern der Adeligen und auch danach noch.

M Ich bin schon ein ziemlicher Foodie. Ich habe sogar mal im Fernsehen Kochsport betrieben und bei der Küchenschlacht mitgemacht. Ich habe es immerhin ins Finale geschafft.

H Sehr gut.

M Die Juryköche haben vor jeder Runde gesagt, ich werde es mit meinem Gericht schwer haben und bin dann trotzdem immer weiter gekommen. Sie haben gesagt, das ist neu, das kennt man so nicht, ist aber gut. Zum Beispiel habe ich Topinambur mit einer Minzsoße gemacht.

H Dazu vielleicht noch ein paar geröstete Senfkörner, leicht karamelisiert. Das gibt einen Crunch und auch noch etwas nussige Noten zu der Topinambur. Das Ätherische kommt von der Minze, das hört sich geil an, kann ich mir gut vorstellen.

M Vor der Show habe ich drei Wochen jeden Tag Rezepte entwickelt, ausprobiert und verändert oder verworfen. Das hat total Spass gemacht und mich in der Küche wirklich weiter gebracht. Ich schmecke jetzt viel bewußter hin und würze mit mehr Bedacht.

Wenn die Azubis bei ihren Prüfungen immer noch Tomatenrosen machen müssen, dann stimmt etwas nicht.

H Bei der Ausbildung der Köche geht es viel zu wenig um das genaue Schmecken. Was wir lehren, ist Technik. Wir lehren es, Juliennes und Brunoise zu schneiden oder wie man einen Fond ansetzt. Aber wer sagt mir, wie meine Brühe besser schmeckt. Eigentlich halte ich vom dualen System in der Gastronomie nichts mehr. Wir bräuchten etwas wie eine Universität. Wie es das in den USA in Asien oder auch in anderen europäischen Ländern gibt. Jetzt, in der Berufsschule kommt eine vom Landgasthof, einer aus der Kantine und der dritte aus der Sternegastronomie. Und in der Zwischenprüfung müssen sie Gerichte aus den Siebzigern kochen (lacht)

M Mettigel anrichten?

H Nicht ganz so schlimm, aber Reis Trautmannsdorf.

M Nie gehört.

H Gekochter Reis mit Fruchtcocktail aus der Dose. Wenn die Azubis bei ihren Prüfungen immer noch Tomatenrosen machen müssen, dann stimmt etwas nicht.

M Das ist ja fast wieder cool.

H Klar, aber was machst du mit der Tomate ? Die schmeißt du weg!

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