
Berlin im Sommer 2021, eine rockige Schreinerei in einem Hinterhof in Tegel. Gerade hat Beckmann einem Fernsehteam über seine Aktion „Rettet die Clubs“ berichtet. Der ehemalige Bassist der Rainbirds ist inzwischen erfolgreicher Filmkomponist. Sein Vorname ist irgendwann verloren gegangen.
M Ich habe nachgeschaut, du kommst aus einem richtig kleinen Kaff.
B Heggen im Sauerland, 3000 Einwohner, ein richtiges Dorf. Direkt nach dem Abitur bin ich dort weg, nach Düsseldorf. Wir waren eine Punkclique und Düsseldorf war unsere Stadt. In Düsseldorf war der Ratinger Hof, da sind wir an den Wochenenden schon immer mit dem Bandbus hingefahren. Das war spannend und deshalb bin ich da hingezogen, hab da aber keinen Fuss auf die Erde bekommen. Dann musste ich Zivildienst machen, mein Anwalt bei der Anerkennung war ein DKP-Typ aus Plettenberg, der war Rechtsanwalt, Fabrikbesitzer und Millionär. Geiler Typ, nachdem ich es in der ersten Runde nicht geschafft habe, hat er mich mit so einer national angehauchten Brudermordgeschichte rausgehauen, dass man doch an der Grenze nicht auf Deutsche schiessen könne. Dann habe ich gedacht, ihr könnt mich mal und bin nach Berlin gezogen. Das ging ja damals noch.
M Das heißt, du warst anerkannt, hast deinen Dienst aber nie angetreten?
B Genau, das war sicher nicht sehr sozial, aber ich wollte ja Musiker werden.
M Da war Berlin, neben dieser Wehrdienstsache ja sicher die beste Stadt?
B Naja, Düsseldorf war schwierig. Die Hosen fingen grad an, es gab die Fehlfarben und noch ein paar Bands drumherum. Düsseldorf war schon damals teuer und es gab es keine Jobs, deshalb war Berlin einfach besser. Seit 1982 war ich dann in Berlin.
M Und hast dann sofort Bands gegründet?
B Ich habe erstmal studiert, Publizistik, Musikwissenschaft und Wirtschaftsgeschichte.
M Okay, wilde Mischung.
B Das war, weil Publizistik einen Numerus Clausus hatte und mein Abi war eher durchschnittlich. Aber das hat mich wirklich interessiert. Schreiben lernen, sprechen lernen, Journalismus. In der Kombination mit Wirtschaftsgeschichte und einem geisteswissenschaftlichen Fach konnte man den Numerus Clausus umgehen. Bei den Musikwissenschaften habe ich nur zwei Vorlesungen mitgemacht. Schrecklich, da laufen nur ganz altmodische Typen rum, Herren mit längeren, gewellten hinters Ohr geklemmten Haaren und Hornbrillen. Die sagen dann: In der nächsten Sitzung lesen wir mal gemeinsam die Neunte von Beethoven. Bitte konzentrieren Sie sich auf die Stimmführung in den Subregistern. Und dann sitzt man da mit einer Partitur und liest sie und interpretiert sie. Das ist so völlig verkopft. Man hört auch gar keine Musik. Man liest die ganze Zeit Noten und so gut konnte ich das gar nicht. Ich glaube, das könnte spannend sein, wenn man die Popkultur einbeziehen würde, aber es ging nur um die Klassik.
M Was wolltest du da lernen? Komponieren?
B Ich hatte gehofft, Zugang zur professionellen Musik zu bekommen. Ich wollte Profi werden, deshalb bin ich aus dem Sauerland abgehauen. Ich wusste nicht, wie man das anstellt. Ich wusste nicht, was eine Musikszene ist, die gab es im Sauerland nicht. Ich habe gedacht, du musst studieren, weil, wenn du nicht studierst, musst du arbeiten. Also habe ich Bafög kassiert und in den Semesterferien gejobbt. Nach der Zwischenprüfung bekam ich meinen ersten Plattenvertrag. Da war ich durch, und habe sofort das Studium abgebrochen. Zu der Zeit, als ich nach Berlin kam, fingen die Ärzte gerade an und waren noch keine richtigen Profis. Ich habe bei denen übrigens gewohnt, ich habe sie vorm Ratinger Hof kennengelernt. Auch die Neubauten haben damals noch gekellnert. Nur Nena und Spliff hatten Plattenverträge, aber die haben mich nicht interessiert. Es gab ja schon Jim Rakete. Wann warst doch bei ihm?
M Ich war später bei Rakete. Ab 1988. Da war die Zeit mit Nena gerade vorbei. Jim hat angefangen mit Nina Hagen.
B Genau, das war in den Siebzigern.
„Ich wollte Profi werden, deshalb bin ich aus dem Sauerland abgehauen.“
M Bevor Nena groß rauskam, hat sie in der Fabrik, der Firma von Jim gejobbt.
B Das war ungefähr 1982 und ab da gab es dann tatsächlich professionelle Bands hier. Aber die Plattenfirmen waren nicht in Berlin, sondern in Hamburg, München oder Köln. Die CBS war in Frankfurt. Sie hatten alle Talentscouts in Berlin.
M Wie bist du denn dann in die Szene reingekommen, von der du vorher nicht wusstet, dass es sie gibt.
B Ich habe über die Ärzte die Suurbiers kennengelernt. So einfach. Zwei von den Ärzten haben da vorher gespielt. Das war auch eine Funpunkband und die haben 1985 einen Bassisten gesucht. Ab da hatte ich Auftritte überall in in der Stadt und kurz darauf sogar deutschlandweit. Ich war in so einer Gang, die überall mit großer Klappe herumlief. Manchmal habe ich als Bassist ausgeholfen und da habe ich dann einen Drummer kennengelernt. Der hat mich 1986 zu einer Rainbirds-Audition eingeladen. Bei dem Casting habe ich sofort gemerkt, das wird was, da musst du dranbleiben. Ich habe mir ein Konzept überlegt, wie ich mich da reinmogeln kann, weil ich habe die Musik zuerst nicht verstanden, die war viel zu kompliziert! Ich war Punk.
M Audition heißt, sie haben mehrere Bassisten angehört?
B Genau, der ursprüngliche Drummer kannte mich, weil ich mal in seiner Heavy-Metal Band ausgeholfen habe. Und er hat mich angerufen, auf Festnetz (lacht) und mich gebeten, vorzuspielen. Er selbst ist dann schon nach drei Proben ausgestiegen, er war aber auch falsch dort, eher so ein Klopper. Die Band war von Anfang an total professionell in der Einstellung. Einmal hat eine Saxophonisten vorgespielt, die haben wir zwar nicht genommen aber sie hatte das Café Swing in Kreuzberg und da haben wir nach drei Monaten gespielt. Später in der Villa Kreuzberg als Vorgruppe von Element of Crime, die damals in Berlin schon sehr groß waren. Der Saal hat bei unserem Auftritt so getobt, dass wir unser ganzes Programm noch einmal spielen mussten. Element of Crime standen neben der Bühnen und waren total sauer. Wir haben die aber auch platt gespielt. Im Mai 1986 haben wir den Senatswettbewerb gewonnen und im Dezember hatten wir einen Plattenvertrag. Das ging rasend schnell.
M Ein Majordeal?
B Ja, richtig groß bei der Polydor. Wir haben 80.000 Mark Vorschuss gekriegt, was damals echt viel Geld war. Ab da haben wir uns sozusagen ein Gehalt ausbezahlt, wie die Beamten.
M Du warst also Angestellter der Rainbirds.
B Kann man so sehen. (lacht) Ab da war ich Profimusiker. Ich habe mein Studium sofort geschmissen.

M Glaubst du, das hat etwas mit Glück zu tun. Richtiger Ort zur richtigen Zeit?
B Sicher hatte ich ganz viel Glück. Aber auch ein Gefühl dafür, was funktioniert und auf welche Leute man sich verlassen kann. Und eine gewisse Zielstrebigkeit. Die sehe ich auch bei den coolen, erfolgreichen Musikern. Der Unterschied ist nicht unbedingt das Können. Also wenn man gar nichts kann, ist’s auch schwierig. In Bands die lange erfolgreich sind, ist immer viel Konsequenz und Zug drin. Und natürlich braucht man charismatische Persönlichkeiten, sonst funktioniert es auch nicht.
M Was mir immer geholfen hat, war es, total offen zu sein. Zum Beispiel habe ich vor langer Zeit die Kassierer fotografiert, praktisch ohne Honorar. Ich habe das aber trotzdem gemacht, weil ich Bock darauf hatte. Über den Nico von den Kassieren habe ich dann eine Filmfirma kennengelernt, Nico hat da als Kabelschlepper gejobbt. Über diese Firma habe ich dann meine erste Bank als Kunden bekommen, da war ich Anfang 20. Die Leiterin der Kommunikation hat danach mehrfach die Bank gewechselt und mich immer mitgenommen. Das waren sehr viele Jobs und in dreißig Jahren tausende Euros Umsatz. Das alles, weil ich ein kleines Shooting mit den Kassieren gemacht habe. Der Punkrock hat mich ernährt. (lacht)
„Ich habe die Punkenergie genommen und damit Pop gespielt.“
B Ich glaube, wenn man ganz viel Herzblut in seine Projekte steckt, dann funktioniert das. Planen bringt gar nichts. Heute in den Pophochschulen lernen die Leute ja wie man Businesspläne macht. Ich glaube, das funktioniert nicht. Alle die ich kenne, die wirklich groß geworden sind, haben irgendwas gemacht, was in der Luft lag und dann damit rumgebastelt. Bei mir war das auch so. Dieser Sprung, von den Suurbiers zu den Rainbirds hat überhaupt nicht gepasst. Das hatte eigentlich nichts miteinander zu tun. Bis auf die Energie, mit der ich bei beiden Bands Bass gespielt habe. Ich habe die Punkenergie genommen und damit Pop gespielt. Das hat uns auch Türen in andere Szenen und Clubs geöffnet. Eigentlich hätten wir ins Quasimodo gehört, das war so ein Mucker-Club. Aber wir haben auch im Eiszeit-Kino gespielt, da kam Wiglaf Droste und hat uns für die taz total niedergeschrieben. Dadurch sind wieder völlig andere Leute zum nächsten Konzert gekommen. Ich habe gemerkt, wenn ich Sachen mit kompletter Hingabe mache, ohne mir Gedanken zu machen, was das bringen kann, dann entstehen die besten Dinge. So bin ich auch zu „Fack ju Göhte“ gekommen. Da wollte ich niemals hin. Ich habe vorher Arthouse Filme vertont, zarte Coming of Age Dramen. Als ich meinen ersten Kinofilm gemacht habe wusste ich gar nicht genau, was Filmmusik ist. Ein Typ, den ich von einer ganz anderen Geschichte kannte sagte, dass seine Freundin gerade ihren Abschlussfilm macht und Probleme mit der Musik hatte. Sie hatte ihre Freunde die Freaky Fucking Weirdoz gefragt und die haben es nicht hinbekommen. Ich habe einfach gesagt, ich kann das, habe mit der Filmfirma einen Vertrag gemacht, habe eine Anzahlung bekommen und bin nach Hause gefahren. Da habe ich die Bilder bekommen und gedacht, mein Gott, was macht man da jetzt. Ich habe gedacht, Orchesterkomposition kannst du sowieso nicht, also habe ich geschaut, welche Gitarristen schon Filmmusik gemacht haben. Dead Man von Neil Young und Local Hero von Mark Knopfler. Da habe ich mir gesagt, okay, für Filmmusik muss man irgendwie anders Gitarre spielen. Ich habe immer eine Szene im Loop laufen lassen und so lange dazu gespielt, bis die Szene funktionierte, bis man merkte, aus so einem relativ einfachen, quasi dokumentarischen Bild wird auf einmal etwas Tieferes. Dann habe ich die Musik eingegebaut und der Regisseurin geschickt. Ich war total unsicher, aber sie war sehr berührt. Da hatte ich einen Ansatz. So habe ich dann meinen ersten Film zusammengeschraubt. Zum Glück war viel Zeit vorhanden, denn ich habe sehr lange gebraucht. Jetzt, nach zwanzig Jahren Filmmusik, weiß ich natürlich wie man das macht. Auch, wie man ein Orchester schreibt weiß ich inzwischen.
M Aber am Anfang war es nur Gitarre?
B Ja, ganz viel und auch ein bißchen mit Elektronik, damit es etwas fließendes bekommt und mehrschichtiger wird. Dann bekommt es etwas offenes. Die Musik muss assoziativ sein, wenn man Gefühle eins zu eins überträgt, zum Beispiel etwas Trauriges zu Trauer macht, wird es schnell platt oder kitschig. Die Melodien müssen länger sein, und nicht so eckig wie in der Pop oder Rockmusik, da kommt ja immer nach vier Beats ein neuer Akkord. Ich muss passend auf die Szene schreiben und dabei funktioniert das Konzept der Beats nicht. Wenn ich eine Sequenz von drei Minuten habe, mache ich mir so etwas wie eine Landkarte. Der Regisseur sagt, hier brauchen wir Aufregung, hier Entspannung und nach hinten raus noch etwas Trauriges. Damit machst du dir eine flexible Tempomap und die malst du dann mit Tönen und Klängen aus. Das muss man lernen, am Anfang habe ich das intuitiv gemacht. Man muss eigentlich alles vergessen, was man als Rockmusiker gelernt hat.
M Wie kommt man zu einem Projekt wie Fack ju Göhte?
B Am Anfang wusste ich gar nicht, wie das Filmmusikbusiness funktioniert. Wir haben in der Filmmusik ein total universitäres System. Die Studenten werden im Rahmen ihres Studiums in Projekte geschoben. Die Hochschulen bringen die Regisseure und die Produzenten und die Musiker zusammen. Das ist alles akademisch. Aber da ich Quereinsteiger war, habe ich damals den ersten Film gemacht und direkt den zweiten Film von derselben Regisseurin aber dann kam auf einmal nichts mehr. Ich wohnte damals in Bayern auf dem Land und hatte keinen Bezug zum Business. Ich wusste auch nicht, dass man auf Filmfestivals und zur Berlinale und wohin sonst rennen muss. Es gibt ja auch keine Kneipen in denen Filmleute sind. Das ist in der Rockmusik einfacher. Da ist ein Club oder eine Kneipe, da sind Konzerte, da trifft man sich. Beim Film ist es nicht so, es gibt keine Filmkneipen. Ein totales Problem, wo sind die Regisseure?
M Da gibt es doch bestimmt Restaurants?
B Aber klar, es gab damals das „Florian“ in Berlin. Aber ich kann da nicht einfach reingehen und jemanden kennenlernen. Ich hatte also nach zwei Filmen ein Loch und habe dann erstmal Beratung gemacht. Ein Freund in Berlin, der war Marktforscher und hat eine empirische Studie über die Popmusik geschrieben. Er hat mich damals für die Studie interviewt, Anfang der neunziger. Er rief mich eines Tages an. Er war mittlerweile in München gelandet, als Geschäftsführer bei einer der ersten Beratungsfirmen für Filmmusik. Sie suchten jemanden, der aus der Praxis kam und die Musikproduktionen betreut. Das Musiksupervising war total einfach für mich. Ich kannte Musiker, ich kannte die Plattenfirmen und hatte auch schon Platten produziert. Das war sehr leicht. Dann habe ich zunächst zwei, drei Filme betreut, Titelsongs mit irgendwelchen Bands gemacht und das Soundtrackalbum an die Plattenfirmen verkauft. Diese Welt kannte ich. Und so bin ich in den Nullerjahren Musikberater geworden. Das wurde gut bezahlt und war einfach für mich, weil man eigentlich selber nichts kreativ machen musste. Irgendwann kam eine junge Produzentin, Lena Schömann auf unsere Firma Cinesong zu, sie wollte aus der Serie „Türkisch für Anfänger“ einen Kinofilm machen. Der Regisseur, Bora Dagtekin suchte einen Komponisten, der eine neue Art von Filmmusik machen sollte. Er wollte vor allem nicht diese, wie er sagte, traurige, Til-Schweiger mäßige Klaviermusik. Er konnte überhaupt nicht theoretisch über Musik sprechen. Ich habe dann einige Komponisten angesprochen und pitchen lassen, ihnen eine Szene gegeben und sie gebeten dazu Musik zu schreiben. Alle haben traurige Klaviermusik gemacht. Das war damals der Sound. Drei traurige Klaviertöne, ein paar Streicher und darüber etwas Gitarrengeschrammel. Der Regisseur fand alles Scheiße und sie kamen in Zeitnot. Es war eine Koproduktion mit der ARD und die wollten den Rohschnitt abnehmen. Ich bin gebeten worden für die Abnahme, schnell etwas darüber zu legen. Da habe ich Musik von mir genommen, Punkrockinstumentals und so Chillipepperszeug. Sie riefen an und fanden die Musik sensationell und haben mich gefragt, ob ich den Film machen möchte. Aus dem Bauch heraus habe ich zugesagt. Und ein Jahr später haben sie für Fack ju Göhte angefragt und das habe ich dann auch gemacht. Der Regisseur wollte es noch schneller und noch lauter haben. Wir haben es auf die Spitze getrieben. Bei der Premiere habe ich gedacht, das kann doch kein Mensch ertragen, weil es so geballert hat. Alles war sehr kleinteilig. Die Kollegen sind auf mich zugekommen und gesagt, das sei gar kein Filmscore und ich habe gesagt, nein ist es nicht, aber es ist geil. Wir haben eine neue Bild-Musiksprache entwickelt.

M Das waren extrem erfolgreiche Filme, du warst sozusagen ein Edelkomponist, wie zahlt sich so etwas aus?
B Die Kollegen haben gefragt, ob ich schon eine Yacht bestellt hätte. 2015 mit der Popularität habe ich gedacht, jetzt musst du das ganze mal nach Hause fahren. Aber man wird bei der Auswertung total beschissen. Ich habe gedacht, eine DVD bringt so fünfzig Cent, es wurden acht Millionen DVDs verkauft und bei 22 Millionen Tickets für einen Zehner müsste ja auch etwas hängenbleiben. Ich habe gedacht ich würde eine oder zwei Millionen verdienen. Die GEMA sagt aber, da achtzig Prozent der Kinoproduktionen amerikanisch sind, schieben wir das Geld lieber in Richtung Fernsehen, damit es in Deutschland bleibt. Die GEMA kassiert pro Kinosessel 35 Cent und zahlt 35 Cent pro Vorstellung an die Musiker. Für „Türkisch für Anfänger“ habe ich 30.000 € bekommen, die GEMA hat aber ungefähr 800.000 € allein für die Kinos kassiert. Genauso bei den DVDs. Auf 500.000 DVDs in der Abrechnung gab es nur 7000 €. Das heißt, da sitzen ein paar Menschen in den Gremien, die machen eine Umverteilung, was vielleicht auch okay ist für manche Kollegen. Dann habe ich mir gedacht jetzt mache ich Fernsehen und habe das ganz bewußt dorthin geswitcht. Da habe ich wieder Glück gehabt, denn jetzt ist das Kino tot. Es starb schon 2019 langsam, aber jetzt nach Corona ist es richtig tot. Wenn ich jetzt noch Kinokomponist wäre, wäre ich am Arsch. Ich habe mir gesagt, ich mache jetzt jedes Jahr vier oder fünf Fernsehfilme und höre mit 65 auf.
„Man müsste die Streamer an den Eiern packen.“
M Aber wirst du nicht von der Produktionsfirma bezahlt?
B Im Kino gibt es ein ordentliches Honorar, aber beim Fernsehen gibt es 12.000 für 90 Minuten, sie sagen, du bekommst ja so viel Geld bei der GEMA. Das war früher so, weil so ein Ding hundertmal wiederholt wurde. Jetzt stellen sie die Filme fünf Jahre in die Mediathek und dafür bekommst du gar nichts. Sowohl die Sender als auch die Streamer machen im Prinzip mit uns und unseren Berufsverbänden, was sie wollen. Also Netflix ist wirklich krass. Ich hab für 280 Millionen Streams nur ein paar tausend Euro gekriegt. Dafür müssten wir eigentlich jedes Mal einen Cent kriegen, auch die Schauspieler. Das ist eine Katastrophe.
M Was könnte helfen?
B Man müsste die Streamer an den Eiern packen. Das ist ja bei Spotify bei der Musik genauso. Eine Million Rainbirsstreams bringen wenige hundert Euro für die Band. Ich sehe das ja an den Abrechnungen. Lächerlich. Wir haben das alle verpennt. Diese digitalen Firmen waren viel viel schneller, die waren uns fünf Jahre voraus und jetzt hecheln wir hinterher. Die Plattenindustrie hat nachträglich Aktien von Spotify gekauft und verdienen wieder auf einer anderen Ebene. Das Problem ist, dass es multinationale Konzerne sind und man gar nicht an sie rankommt. Und Spotify zahlt 80 % der Gelder an 5% der Künstler aus. Rihanna bekommt da ein paar Millionen, aber sehr viele halt auch fast nichts. Selbst die erfolgreichen Bands haben sich nicht darum gekümmert, im digitalen Bereich gut bezahlt zu werden. Sie haben gesagt, wir leben vom Live und das Digitale ist Promo. Früher hat man ja gespielt, um Platten zu verkaufen und deshalb sind sie alle im letzten Jahr total auf den Arsch gefallen. Alle haben megaviele Streams, aber sie bekommen nur Pfennige dafür. Ja, die Digitalisierung, die haben alle so etwas verpennt.

M Du hast ja sehr lange in Berlin gelebt. Ich war nie ein großer Berlinfan, ich habe am Letteverein studiert und in dieser Zeit für Jim Rakete gearbeitet. Der ist damals nach Hamburg gezogen und somit gab es für mich keinen Grund in Berlin zu bleiben.
B Wann bist du gegangen?
M 1990. Berlin war damals nicht wirklich eine gute Stadt für Fotografen, da gab es nur Jim, der wirklich bundesweit gearbeitet hat. Die anderen haben alle nur regional gearbeitet. Das war echt Provinz. Die guten Leute, waren alle in Hamburg, auch die Magazine und Agenturen waren in Hamburg oder München. Hier gab es nur Tip und Zitty. Ich bin dann nach Paris und habe ein paar Jahre für verschiedene Fotografen assistiert. Das war für mich deutlich sinnvoller, als in Berlin zu bleiben.
B 1994 wollte ich auch mal ein paar Jahre weg aus Berlin. Ich habe überlegt, Hamburg oder Köln. In Hamburg kannte ich Rocko Schamoni und die Goldenen Zitronen und in Köln die Leute von Brainpool. Schamoni und Kamerun waren damals schon sehr künstlerisch mit Theaterprojekten unterwegs und ich bin eigentlich ein Rockmusiker. Da bin ich nach Köln gegangen für drei Jahre. Ich habe für Brainpool immer mal Musik gemacht, aber schnell gemerkt, dass ich dieses ganze Comedyding nicht mochte. Ich habe ja Funpunk gemacht und fand Musikcomedy blöd. Ich fand Raab blöd, ich fand Guildo Horn blöd. Funpunk war lustig und anarchistisch, in der Comedy waren die Streber. Die Konzerte der Ärzte haben damals zwei Stunden gedauert, davon haben sie eine Stunde Standup gemacht. Das war alles viel lustiger, als das was in den 90igern um die Ecke kam. Karierte Anzüge und Koteletten, schrecklich. Ich musste weg aus Köln obwohl ich Stadt an sich viel angenehmer zum leben fand als Berlin.
M Dann kam ja auch dieses Schlagerding, Dieter Thomas Kuhn und so.
B Die Hosen haben ihre Schlagerplatte schon 1987 gemacht und das war viel anarchistischer als dieses Schlagerding in den Neunzigern.
„Nach der dritten ausverkauften Tour habe ich mich wie in einer Maschine gefühlt. Mich hat es nach drei Jahren einfach gelangweilt.“
M Die Kassierer haben auch immer mal Schlager gecovert. Nathalie von Gilbert Becaud zum Beispiel.
B Die Kassierer, finde ich, sind schon schwer zu ertragen, aber ich verstehe natürlich, warum das mega gut funktioniert. Ich finde Wölfi auch super originell, aber das ist schon, derber Humor.
M Was ich an den Kassierern toll finde ist, dass sie das totale Gegenteil einer Boyband sind. Mit derselben Körperlichkeit. Wölfi steht nackt auf der Bühnen und hat einen Körper wie eine Comicfigur.
B Das ist wirklich Punkrock, so aufzutreten und dazu zu stehen. Ich bin ja eher der, der versuchen würde, einigermaßen gut auszusehen. Bei den Suurbiers hatten wir auf der Bühne Schlaghosen und Nylonhemden an, ich bin nach den Gigs sofort ins Backstage und habe mich umgezogen. Ich wollte cool aussehen. Bei den Kassierern, finde ich das gut, aber ich persönlich würde leiden. Mein Körperideal ist ein anderes. Die Kassierer sind ja in den letzten Jahren noch mal richtig groß geworden. Ich hatte sie gar nicht auf dem Schirm und plötzlich sehe ich, in welchen Hallen die spielen. Und sie haben ein junges Publikum.
M Ja, wobei das junge Publikum sieht die Kassierer nicht so subtil satirisch. Für die ist das eher Ballermannmucke, die freuen sich, wenn jemand fünfzehnmal „Ficken“ singt.
B Ja, aber sie sind eine anarchistische Band, die sich etwas traut. Die großen Bands, die aus dieser Richtung kommen, werden ja etwas pathetisch. Ich liebe die Hosen historisch aber manchmal wirken sie etwas bemüht. Genau wie die Ärzte.
M Die Toten Hosen laufen oft auf Hochzeiten und da haben manche eine Träne im Knopfloch.
B „An Tagen wie diesen“ ist eines der am meisten gespielten Hochzeitslieder und eines der am meisten gespielten Liedern auf Beerdigungen. Das ist verrückt. Helene Fischer singt das ja inzwischen live.
M Warum bist du bei den Rainbirds ausgestiegen?
B Nach der dritten ausverkauften Tour habe ich mich wie in einer Maschine gefühlt. Mich hat es nach drei Jahren einfach gelangweilt. Ich habe mal 1989 in einem Interview gesagt: Kommt mir vor, als würde ich einmal im Jahr von Norden nach Süden fahren um einen Geldkoffer abzuholen. Was natürlich nach zwei Jahren sehr dumm war. Das sagt man besser nach zwanzig Jahren (lacht) Ich bin zu früh ausgestiegen, aber es hat mich wirklich angefangen zu langweilen, als alles Routine wurde, auch die Musik.
M Ich habe mal im Backstage den Gitarristen von Grönemeyer gesprochen, der spielt die Stücke doch auch schon seit 40 Jahren immer wieder.
B Ja klar, aber das sind Mietmusiker, das ist ein großer Unterschied zu Bandmusikern. Die haben eine ganz andere Mentalität. Als Bandmusiker bist du immer sichtbar, da hast du einen Namen, du bist Teil der Gang und auf jedem Foto mit dabei. Natürlich ist Campino bekannter als Andi Meurer, aber wer kennt schon den Bassisten von Westernhagen oder Grönemeyer. Das sind oft so richtige Musiker. Die spielen dann oft auch bei anderen Acts oder abends im Jazzclub. Nachdem ich bei den Rainbirds ausgestiegen bin habe auch überlegt mich bei solchen Acts zu bewerben. Aber dafür muss man die Mentalität haben, man muss sich völlig zurücknehmen, funktionieren, ansonsten Klappe halten und keine Sperenzchen machen. Zum Glück habe ich solche Engagements nie gemacht.
M Klassische Orchestermusiker ticken doch ähnlich.
B Ja klar, die denken in Diensten. Die spielen dreieinhalb Stunden, dann gehen sie in die Kantine, essen eine Bockwurst und reden über ihre Kinder. Dann gehen sie wieder raus und spielen ansatzlos wieder die tollste Musik, mit großer Perfektion und Emotion. Ich bewundere diese Abgeklärtheit. Sie gehen fünf Tage in der Woche zur Arbeit und machen um Punkt vier Feierabend. Das ist ein anders System. Ich könnte das nicht. In der Popmusik der letzten zehn Jahre ist es ähnlich geworden. Da gibt es ganz viele Musiker, die sind superprofessionell, die kommen an, haben ein Tablet mit den Noten auf dem Ständer und schalten mit einem Fussschalter die Seiten um. Die kannst du anrufen und nächste Woche auf Tour gehen, da programmieren die nur ihren Tablet um. Allerdings werden sie sehr schlecht bezahlt, auch Helene Fischer im Olympiastadion zahlt nur 500 €. Das hört sich arrogant an, aber ich würde dafür nicht dahin fahren. Da macht eine Tournee zwanzig Millionen Umsatz, und du gehst mit Zwanzigtausend nach Hause. Nee, ohne mich. das ist Turbokapitalismus in der Musik. Aber keiner beschwert sich. Vielleicht sind sie ja auch anderes gewohnt. Wenn sie hier in einem kleinen Club spielen bekommen sie 150 und wenn sie dann 30 mal 500 am Stück machen ist das eine Mörderkohle. Ich finde auch, dass dieser Mainstreampop keine Energie hat. Alles ist durchgetacktet, es gibt eine feste Dramaturgie. Keinerlei Extase. Du spielst zwei Stunden und könntest sofort weitermachen. Wenn du bei einer harten schnellen Band von der Bühne kommst, bist du tot. Das war für mich immer ein geiles Gefühl, so richtig durch zu sein und zu dampfen und alles gegeben zu haben. Da bist du euphorisch, da werden Endorphine produziert. Bei Helene Fischer passiert gar nichts.
