OLE PLOGSTEDT ÜBER SOLIDARITÄT, LIEFERKETTEN UND MAO-TSE-TUNKE

18.5.2021 Hamburg Ole Plogstedt zieht das Rolltor zum Lager der Roten Gourmet Fraktion hoch. Die Kantine der Rockstars pausiert. Keine Band auf Tour. Tonnen von Equipment sind ordentlich verstaut. Die Bar ist aufgebaut. Ole schaltet die Kaffeemaschine an.

M Wieso ist das hier die Strafbar?

O Bei den Toten Hosen auf der Tour ist mal irgendjemand aus der Crew gekommen und hat gesagt, Ole, ich brauche einen Schnaps nach dem Essen, du musst mich bestrafen. Da haben wir an den Getränkeraum einen Zettel gemacht, Bestrafungszimmer. Daraus wurde dann irgendwann die Strafbar. Die Leute kommen reihenweise an, auch die Musiker. Irgendwann kam Breiti nach dem Konzert und hat gesagt, ich habe mich verspielt, Ole du musst mich bestrafen. Wir haben mit einem gepolsterten und mit dem Wort „Strafbar“ besticktem Bügelbrett als mobilen Klapptresen angefangen, später mit diesem Case wurde es eine richtige Bar. Da gibt es natürlich meinen Mexikaner, der ist extrem beliebt, weil es ein total gutes Rezept ist. (grinst)

M Mexikaner? Das ist ein Schnaps?

O Genau, das ist ein Kurzer aus Tomate und Korn mit Chilisauce. Kannst du gerne später probieren, den habe ich bestimmt da. Der ist ganz dankbar für Tourneen, da ist nicht so viel Alkohol drin. Aber wegen der Schärfe denken die Leute, sie trinken richtigen Schnaps. Danach sind die Menschen noch in der Lage die Show zu meistern. Ich habe meinen Mexikaner jetzt umbenannt in „Rote Hilfe“, denn er steht ja hier in Hamburg auch in der Tradition ein Solidaritätsgetränk zu sein. Oft wird er Kneipen in Hamburg gegen Spende, zum Beispiel für die Seenotrettung, ausgegeben. Meiner heißt „Rote Hilfe“, weil er rot ist und hilft. Man kann schicke Etiketten, auf denen auf der Rückseite das Rezept abgedruckt ist, erwerben und ich spende alle diese Einnahmen an die Rote Hilfe e.V..

M Rote Hilfe, das ist eine linke Selbsthilfegruppe ?

O Ja, so kann man sagen. Sie ist schon vor ungefähr hundert Jahren entstanden. Sie hilft, wenn Linke unter Repression leiden. Dann kümmern sie sich, politisch und juristisch. Heinrich Zille, Käthe Kollwitz oder auch Albert Einstein waren Unterstützer. Jetzt sind sie wieder gefragt zum Beispiel beim Rondenbarg Prozess. Erinnerst du dich, Fabio dieser junge Italiener, der bei der Demo am Rondenbarg bei G20 dabei war. Er ist festgenommen worden, obwohl er nichts gemacht, er war einfach nur da. Er hat fast ein halbes Jahr in U-Haft gesessen, obwohl ihm nichts nachgewiesen wurde. Ein ganz integrer Junge. In solchen Fällen zum Beispiel hilft die Rote Hilfe e.V.. Wenn du als Linker Stress hast, weil du Linker bist dann helfen sie. Ich finde, jeder hat einen fairen Prozess verdient und dafür setzen die sich ein. Das ist so wichtig, gerade jetzt wo wir Nazis im Bundestag haben. Man sieht ja, wie auf Demonstrationen die Polizei mit Coronaleugner umgeht. Da werden Herzchen geworfen, während Gegendemonstrant:innen einfachmal ratz fatz mit dem Wasserwerfer weggeballert werden.

M Möchtest du, dass beide mit Wasserwerfern weggeballert werden?

O Am liebsten keiner. Darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, dass es zeigt, dass die Polizei doppelmoralisch vorgeht. Sie lassen die sogenannten Coronademos zu, aber sobald Linke auftauchen werden sie aggressiv. Das ist wie Racial-Profiling. Du musst nur, Moslem sein oder schwarz sein oder links aussehen, dann kannst du davon ausgehen, dass du in jede Routinekontrolle gerätst. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass Seehofer versucht eine Rassismus-Studie bei der Polizei zu verhindern. Wir haben keine unabhängige Institution, die gegen Polizisten ermittelt. Die machen das selber! (lacht) In Dänemark siehst du es ja, da funktioniert das. Da ist die Polizei total froh, dass es so eine Institution gibt, die arbeiten eng zusammen. Ich glaube in Deutschland stehen sehr sehr viele Polizisten zum Teil gefährlich weit rechts. Ich wünsche mir von der Polizei nur, dass sie sich grundgesetzkonform verhalten. Und das macht sie oft nicht. Das hat man deutlich beim G20 Gipfel hier in Hamburg gesehen. Journalisten vom NDR und Deuschlandfunk, die vor Ort waren, haben berichtet, dass die Polizei bei der Welcome to Hell-Demo die Demonstranten angegriffen hat und deshalb die Lage total eskaliert ist. Die Demo war angemeldet. Die Demonstranten wollten loslaufen sind daran aber gehindert worden. Aber das ist später in den Medien von so einer hysterischen Stimmung gegen Linke überrollt worden. Es gab auch Agents Provocteurs, die haben ihre Vermummung nicht abgenommen und so den Grund für den Angriff geliefert. Ich habe mit einer Frau gesprochen die dabei war. Erst hatte Sie Mitleid mit den Polizisten, die da bei der Hitze in voller Montur herumstehen mussten. Als es dann abging, hat sie gesagt, hatte sie voll den Impuls, eine Flasche zu nehmen und zu werfen. Später ging es weiter im Schulterblatt. Die Leute von der Roten Flora haben dort die Barrikaden gelöscht, obwohl die Polizei Wasserwerfer hatte und das locker hätte tun können. Die haben nichts gemacht, ich glaube, die wollten, dass es eskaliert. Auch die vermeintlichen Molotowcocktail- und Gehwegplattenwürfe vom Haus Schulterblatt 1. So ein Blödsinn. Das waren Touristen, die haben sich das von oben nur angeschaut. Der Besitzer von dem Haus hat vorher zur Polizei gesagt, am Haus ist ein Baugerüst, hier ist der Schlüssel, ihr könnt alles sichern, es ist ja G20. Den Schlüssel hat die Polizei nicht angenommen! Am Pferdemarkt wollte ein Freund von mir jemandem helfen, der gerade von einer Horde Polizisten umgerannt wurde. Als er sich zu ihm runter bückte, bekam er selbst einen Knüppel auf den Kopf und hat sich blutend in ein Café gerettet. Es hat sehr wohl Polizeigewalt gegeben, Herr Scholz ,falls sie das lesen ! Es gibt unglaublich viele solcher Geschichten und deswegen finde ich es wichtig, sich einzusetzen und gegen diese ganze Scheiße anzusteuern. 

M Wie engagierst du dich?

O Ich bin unter anderem Oxfam-Kampagnenbotschafter. Ich setzte mich zum Beispiel für das Lieferkettengesetz ein. Ich habe mit Oxfam Bananenplantagen in Ecuador besucht. Das waren schlimme Verhältnisse. Da sind Menschen mit Pestiziden besprüht worden und erkrankt. Oft funktioniert es mit der Bezahlung nicht. Einer hat uns ganz aufgeregt erzählt, dass er seit drei Wochen kein Geld mehr bekommen hatte und es doch dringend seiner Familie schicken muss. Er hat erzählt, dass er es nur zwei oder dreimal im Jahr schafft, seine Familie zu sehen weil er sich nur so selten den Bus für die 200 Kilometer zu seinem Heimatdorf leisten kann. Fast alle Arbeiter:innen dort haben eine fleckige Haut. Sie werden während der Arbeit mit Pestiziden besprüht. Wir haben eine Schule inmitten von Bananenplantagen besucht. Da musste ich schwer mit den Tränen ringen. Fast alle Kinder, deren Eltern nahezu alle in der Bananenbranche arbeiten, hatten teils schwere Behinderungen. Oft haben die Arbeiterinnen auch Fehlgeburten. Unfassbar. Das alles nur, damit wir hier Bananen für 77 Cent das Kilo kaufen können. Hubertus Heil, der Arbeitsminister hat mich im November 2020 eingeladen in seinem Podcast zum Thema Lieferkettengesetz von der Reise zu erzählen.

M Der andere Minister hinter dem Gesetz ist ja Gerd Müller von der CSU, der ist ja erstaunlicherweise gar nicht schlecht.

O Ja, unfassbar, er war früher noch ganz anders drauf. Der hat mal gefordert, die Todesstrafe für Drogendealer einzuführen, da haben selbst die Leute aus seiner Partei sofort interveniert. Später ist er als BMZ-Minister in den globalen Süden gereist, dort hat er gesehen, wie schlecht es den Menschen geht. Das hat ihn wohl sehr bewegt. Mit Hubertus Heil ist er nach Äthiopien geflogen und dort haben sie gesehen, wie Frauen knöcheltief in Chemikalien standen um Leder zu gerben. Das hat die beiden gepackt, das nehme ich ihnen ab. Mir ging es ja in Ecuador genauso.

M Das Lieferkettengesetz ist wegen Altmaier und Komplizen ziemlich weichgespült.

O Ich habe mit Hubertus Heil darüber gesprochen, ja es ist ziemlich verwässert. Man muss daran weiterarbeiten. Herr Heil sagte, es sei vergleichbar mit dem Mindestlohngesetz. Die Höhe des Mindestlohnes ist noch nicht da, wo man ihn gerne hätte, aber es gibt das Gesetz und das ist erst einmal nicht mehr wegzukriegen. Ich halte das Lieferkettengesetz auch für ein wichtiges Tool – und eigentlich auch das einzige, was mir einfällt, das es überhaupt gibt –  zur Fluchtursachenbekämpfung. Wo ausgebeutet wird, entzieht man den Menschen auf kurz oder lang die Existenzgrundlage. Die Folge ist dann die Flucht mit der Hoffnung, es woanders besser zu haben. Gerd Müller hat übrigens auch das Camp in Moria besucht und danach aufrichtig betroffen über unhaltbare Knastzustände gesprochen. Er hat fast wie ein Linker geredet, unglaublich für einen CSUler, was er für eine Wendung hingelegt hat. Kommt ja nicht so oft vor, dass man aus seiner politischen Heimat Solidarität erfährt.

M Aber Solidarität ist doch nicht automatisch links? Die Katholiken nennen das Nächstenliebe und meinen eigentlich dasselbe. 

O Ja vielleicht. Aber ich sehe da trotzdem irgendwie einen Unterschied, auch wenn es viel Schnittmengen gibt. Wenn ich beispielsweise sage: „Du hast Hunger, ich gebe dir Brot“, ist das Nächstenliebe. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich mit der hungernden Person solidarisch erkläre, wenn sie/er womöglich AfD-Wähler:in ist. Ein unrealistisches Beispiel, aber es erklärt vielleicht, was ich meine. Aber ich es gibt natürlich auch solidarische kirchliche Fälle. Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der EKD, setzt sich sehr für die zivile Seenotrettung ein und kritisiert unter anderem die Kriminalisierung der privaten Seenotrettungs NGO´s.  Auch durch sein Engagement ist das zivilgesellschaftliche Bündnis „United4Rescue“ entstanden, dass z.Zt. ca. 750 Bündnispartner zählt. U4R hat innerhalb kürzester Zeit genug Spenden gesammelt um die Sea-Watch 4 zu kaufen, umzubauen und ins Mittelmeer zu schicken und hat kurz danach noch die Sea-Eye 4 finanziert. Die hat übrigens gerade bei ihrem ersten Einsatz 400 Menschen gerettet und wird in keinen Hafen in Europa gelassen. Das ist eine unmenschliche EU-Politik, die von unserer Regierung mitgetragen wird. Man fragt sich wirklich wofür das C in CDU oder CSU? Bei der CSU dürfte nur das U überbleiben (sorry, Herr Müller). Das ist unterirdisch und hat weder was mit Nächtesliebe, noch mit Solidarität zu tun – höchsten mit Solidarität mit Nationalisten. 

M Söder mit seinen Kruzifixen in der Schule. Das ist ausgrenzend und populistisch

O Das ist ganz schlimm. In Sachen Solidarität kommt von dieser Partei nichts. 

M Ich bin viel unterwegs in der Welt und arbeite für Hilfsorganisationen. Das sind meistens katholische NGOs. Obwohl ich Protestant bin. Ich bin gläubiger Christ, wenn auch überhaupt nicht missionarisch oder fromm.

O Die christlichen Werte, die teile ich.

M In Lateinamerika gibt es wahnsinnig gute Priester und Bischöfe, die sich sehr für die Armen einsetzen, die sich sehr für den Umweltschutz engagieren. Sie nennen es „Bewahrung der Schöpfung“, es meint aber das gleiche. Sie schicken Anwälte in die Ölgebiete am Amazonas um Umweltverbrechen oder illegale Landnahmen zu dokumentieren, die Indigenen dort haben sonst niemanden der ihnen zur Seite steht. 

O Auf der anderen Seite haben sie viele Kriege und ganz viel Leid verursacht. Ich bin überhaupt nicht gläubig. Aber ich finde, Leute, die etwas Gutes machen, die machen was Gutes! Punkt. Und auf der anderen Seite verschleiern sie ihre Missbrauchsskandale. Was hat das mit Nächstenliebe zu tun? Von daher ist für mich Solidarität für mich erst einmal nichts kirchliches, sondern eher etwas menschliches, etwas selbstverständliches.

M Wie findest du Fairtrade? Ich war mal in Peru in einer Kaffeekooperative. Die ist in den sechziger Jahren von Terre des Hommes gegründet und angeschoben  worden. Inzwischen sind 1000 Kleinbauern organisiert, die an die Kooperative liefern. Sie haben große Maschinen aufbauen können um Weltmarktqualität produzieren, sie haben eine professionellen Vorstand, der sich um die weltweite Vermarktung kümmert. Sie möchten bald auch den nächsten Schritt in der Lieferkette anbieten, also rösten um mehr Erlös zu haben. Sie haben eine Bank gegründet, die den Mitgliedern faire Kredite gibt, das ist wichtig, weil in Lateinamerika Menschen schnell in Schuldknechtschaft geraten. Es sind Schulen gebaut worden und die Mitglieder müssen Mindestlöhne an ihre Erntehelfer bezahlen. 

O Cool! Das zeigt, es geht!  Es gibt eine ein Schweizer Firma, Original Beans, die produzieren Schokolade und wollen damit den Regenwald retten. Die bezahlen den Kakaobauern und Kakaobäuerinnen deutlich mehr als den Fairtrade-Preis und bekommen die beste Qualität. Es gibt keine Monokulturen und der Regenwald wird geschützt. Die Schokolade ist sehr teuer, aber für jede Tafel wird ein Baum gepflanzt. Das ist doch toll. Eines ihrer Projekte ist „Femmes de Virunga“ aus dem Kongo. Dort arbeiten nur Frauen. Im Kongo ist es ja schrecklicherweise an der Tagesordnung, dass junge Mädchen genitalverstümmelt werde. Die Mütter stimmen dem zu, weil ihre Töchter in dieser Gesellschaft sonst keine Chance haben, einen Ehemann zu finden, der ihre Existenz sichert. Durch dieses Projekt werden die Frauen wirtschaftlich unabhängig und müssen dem nicht mehr zustimmen. Sie machen das nicht mehr, weil es eine andere Perspektive für Sie gibt. Es ist erstaunlich, wie schnell das gehen kann. Ich glaube auch, dass Menschenrechte essentiell sind, um das Klima zu retten. Da, wo die Menschenrechte und die Frauenrechte geachtet werden, da bekommen die Frauen nicht mehr acht Kinder, sondern nur noch zwei, das hilft gegen die Überbevölkerung. Und klar, wenn du so viel zu tun hast, um dein eigenes Leben irgendwie hinzukriegen oder deine Familie zu versorgen, dann hast du natürlich keinen Kopf für die Umwelt. Das ist dann zweitrangig. Wenn es dir aber besser geht, dann hast du Platz dafür in deinem Kopf. Es greift alles ineinander. Wenn du eine Wertschätzung erfährst, dann bist du auch in der Lage, eine Wertschätzung weiterzugeben.

M Auch Ernährung hängt mit dem Klima zusammen.

O Genau: Argentinien pupst uns die Welt kaputt. (lacht) Deswegen müssen wir weniger Fleisch essen oder am besten gar keins mehr.

M Aber es gibt ja Gegenden, wo man kein Gemüse anbauen kann. Dort können die Menschen nicht vegan leben. 

O Ja klar, sicher. Da musst du aber sehen, in welchem Verhältnis das steht. Ich sage jetzt mal ganz stumpf, da wohnen tausend Leute, die von ein paar Schafen leben müssen. Dagegen stehen diese Massen an argentinischem Rindern, die Millionen Menschen mit Fleisch versorgen. Wir haben Probleme mit der Verhältnismäßigkeit. Wir überblicken das oft nicht mehr. Wenn du dir überlegst, du hast einen Millionär und einen Milliardär. Man denkt, beide sind reich, aber der Milliardär ist halt etwas reicher. Aber rechne mal: 1 Million Sekunden sind 11,57 Tage, 1 Milliarde Sekunden sind dagegen knapp 32 Jahre. Das ist die Diskrepanz zwischen Milliardär und Millionär. Die 45 reichsten Haushalte besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Trotzdem haben wir aber 136 Milliardäre in Deutschland. Wir sind fast am Zenit des Kapitalismus angekommen, wo Einem alles gehört und allen Anderen nichts mehr. Das ist ja der logische Schluss, die Konsequenz von diesem Aggro-Kapitalismus, den wir hier fahren. Der Kapitalismus missachtet die Umwelt, missachtet Menschenrechte. Er geht über Leichen. Ich finde dass jeder, der es sich leisten kann, Biosachen kaufen sollte und sich möglichst ethisch und fair ernähren sollte. Aber Alleinerziehende mit drei Minijobs, die ihre Familie durchbringen müssen, können das natürlich nicht oder nur schwer schaffen. Das ist nicht verwerflich. Das schaffe ich bei meinen Jobs auch nicht 100%ig. Das würde sämtliche Kalkulationen sprengen und ich wäre kaum noch wettbewerbsfähig. Abgesehen davon ist es auf Tournee gar nicht möglich, die benötigte Quantität an Bioprodukten in allen benötigten Produktkategorien an den Start zu bekommen. Das heißt, ich muss Kompromisse machen. Wir haben keine Plastikflaschen mehr. Wir bieten viel Vegetarisches an und promoten das auch. Aber wir können das nicht zu Hundert Prozent straight leben. Ich finde, da kann dem Bürger nicht die alleinige Verantwortung geben werden. Den Verbrauchern wird zugemutet, mehr für ein ethisch moralisches Leben auszugeben. Warum greift man nicht der Industrie in die Taschen? Die Banane ist ein gutes Beispiel. Die wird von den Supermärkten gerne als sogenanntes Eckpfeilerprodukt verwendet. Bananen werden sehr billig angeboten, das soll suggerieren, dass alles andere auch billig ist. Lidl hat versucht zu hundert Prozent Fairtrade Bananen anzubieten und sind wieder zurück, weil die anderen Ketten da so sehr gegen gekämpft haben. Da hat dann das Kilo auf einmal nur 66 Cent gekostet. Das sollen sie ja ruhig machen, als Marketinggag, aber dann sollen sie das aus dem Marketingbudget bezahlen und nicht bei Kleinbäuerinnen und Kleinbauern die Preise drücken. So etwas ist eine Riesenschweinerei. Deswegen brauchen wir dringend Reglementierungen, wie zum Beispiel auch das Lieferkettengesetz. Da kommen wir immer wieder drauf. 

M Die Dinge hängen zusammen, alles ist politsch. Kochst du auch politisch?

O Wir wollten zugunsten von Sea Watch eine Gala machen. Wir waren echt schon weit mit den Vorbereitungen, dann kam die Pandemie. Jeannine Michaelsen sollte das moderieren und Rod von den Ärzten sollte auftreten, alles so richtig cool. Obwohl es gab auch Kritik von einigen Sea-Watchlern, dass man sich nicht auf dem Rücken anderer den Wanst voll fressen sollte. Deswegen habe ich bei dem Menü extrem darauf geachtet, dass ich ganz normale Lebensmittel verwende. Nichts für Hochwohlgeborene mit Trüffel und Blattgold. Aber was soll man als Koch anderes machen, wenn man unterstützen will. Ein Musiker gibt ein Benefizkonzert. Was soll ich als Koch machen? Rockmusik? Also da koche ich natürlich. Aber das muss natürlich gut gemacht sein und gut kommuniziert werden. Ich war einmal, damals noch mit den Kochprofis auf einer Unicef-Gala. Jeder einzelne Blumenstrauß, der dort überreicht wurde hätte, glaube ich, fünf Dörfer ein Jahr lang ernähren können. Das war unangenehm. Deswegen verstehe ich die Kritik. Aber eine Gala kann doch auch eine Sache unterstützen, man wird ein Thema für die Presse und die Menschen spenden. Das ist eigentlich eine Win-Win Situation. 

M Es muss am Ende mehr rauskommen, als rein gegangen ist.

O Genau. Die Vorspeise wäre eine Bouillabaisse gewesen. Quasi die Suppe, die wir jetzt auslöffeln müssen, weil die EU die Füße stillhält. Die wollte ich anrichten in einem Weckglas, so wie ein Bullauge, auf einem Teller mit Vogelsand. Aus echtem Schwimmwestenstoff wollten wir kleine Schwimmwesten ausschneiden und auf den „Strand“ legen. Das ist schon hart für den Gast, da muss man schon schlucken, aber man denkt auch drüber nach.

M Der Teller wird zum politischen Statement. 

O Das habe ich schon öfter gemacht. Es ist nicht immer erkannt worden, aber ich finde, es reicht ja, wenn manche Leute das erkennen. Ich habe mal bei meinem Kumpel Marco Müller in Berlin im Rutz bei irgendeiner Jubiläumsveranstaltung als Gastkoch einen Gang gekocht. Da hab ich eine Dose quasi als Teller genommen und hab ein Stück Thunfisch auf einem Spieß, der aussieht wie eine Harpune angerichtet. Das habe ich dann „Harpunierter Dosenflipper“ genannt, um auf die Delphine hinzuweisen, die sich in den Thunfischnetzen verfangen und sterben. Oder vor vielen Jahren haben wir das Catering für eine Veranstaltung der Freunde der Kunsthalle Hamburg anlässlich der Mahjong-Ausstellung, unter dem Motto „Alles China – alles rot“, gemacht. Chinesische Alltagskunst. Uns war es zu blöd, nur chinesische Gerichte zu kochen. Wir haben dann einfach nur rote Lebensmittel verwendet. Wir hatten eine Zitronengrassuppe, die wir im Flachmann serviert haben, „Lizenz zum Röten“ genannt. Unten in einen Longdrink Glas haben wir reduzierten Rote Beete Saft gegeben und wenn du die Suppe eingegossen hast, wurde sie rot. Ein Gericht hieß „Himmlischer Frieden – Rotkohlblüte in Peking mit Kohlaschnikow, Studentenfutter-Couscous und Mao Tse-Tunke“. Kohlaschnikow war mit Rotkohl, Ingwer und Granatapfelkernen in einer Frühlingsrolle und die Mao Tse-Tunke war ein Rosa Pfeffer-Dipp. Erstaunlich war, dass nur sehr wenige diese Anspielungen verstanden haben, da kamen vielleicht drei Menschen auf mich zu und haben das angesprochen und sich über den Seitenhieb auf die chinesische Regierung, die das Massaker von damals immer noch leugnet, gefreut.

M Ich koche immer das Neujahrsessen für das Praxisteam meiner Frau. Sie ist Logopädin. Einmal habe ich ein logopädisches Menü gekocht. Es gab eine Pilz-Consommé mit Buchstabennudeln, Kalbszunge und Seeteufelbäcken. Fürs Dessert hat mein Frau Schweineöhrchen gebacken. Wir haben vorher nichts erklärt, aber nach drei oder vier Gängen haben sie gemerkt, was los ist.

O Geil (lacht). Mit Zunge habe ich auch schon mal was gemacht. Da habe ich Couscous in aufgeschittene Kalbszungenscheiben eingerollt, etwa wie eine Sushirolle und auf einem Pflasterstein serviert. Der Gang hieß „Zungencouscous auf dem Bürgersteig“. Einer fällt mir noch ein. An einem 2. Juni, dem Todestag von Benno Ohnesorg, habe ich auf Tour mal „Terror-Turkey“ (Geröstel von Putenoberkeule), auch wieder mit „Kohlaschnikow“ und Studenfutter-Couscous gemacht und als vegetarische Alternative einen Gemüsespieß Namens „Schah-Schlik mit Jubelperser-Soße“ angeboten. Haben auch nur diejenigen geschnallt, die sich mit der jüngeren deutschen Geschichte etwas auskennen (lacht).

M Zwischen Interview und Veröffentlichung hat sich etwas sehr Wichtiges getan in Ecuador. Ole freut das sehr, daher dieser Nachtrag:

O Unsere Kontaktperson bei den Reisen nach Ecuador war Jorge Acosta. Er war früher Pilot und ist die Pestizidflieger, im guten Glauben, er würde nichts Gefährliches versprühen, geflogen, bis er selbst erkrankt ist. Er wechselte die Seite und gründete die staatlich nicht anerkannte Gewerkschaft ASTAC. In Ecuador gibt es bis dato keine Dachgewerkschaften, wie wir sie hierzulande kennen, sondern es sind nur Betriebsgewerkschaften zugelassen, theoretisch jedenfalls. Denn wenn Arbeiter:innen eine solche Betriebsgewerkschaft gründen wollen, werden sie in aller Regel sofort entlassen, landen auf schwarzen Listen und finden in der Bananenbranche keine Anstellung mehr. Ein Arbeiter hat uns erzählt, dass er sogar eine Morddrohung von seinem Arbeitgeber erhalten hat. ASTAC kämpft mit ihren derzeit ca. 1000 Mitgliedern und der Unterstützung von Partnern wie Oxfam, für die staatliche Anerkennung als Branchengewerkschaft. Nun ist in Ecuador gerade ein bahnbrechendes Urteil gesprochen worden, das besagt, dass ASTAC als Branchengewerkschaft anzuerkennen ist. Damit könnte ASTAC nun die Rechte von ca. 200.000 Arbeiter:innen vertreten. Das wäre ein Meilenstein im ecuadorianischen Arbeitsrecht, zumal dieses Urteil auch auf andere Branchen übertragbar ist. Da ich Herrn Heil in seinem Podcast von Jorge Acosta und ASTAC , berichtet habe und er die, wie er mir sagte, sehr anschaulichen Beispiele für ein Lieferkettengesetz oft bei Reden zum Thema zitierte, habe ich ihm diese bahnbrechende Neuigkeit berichtet. Denn fast zeitgleich zur Verabschiedung des Lieferkettengesetzen am 11.6.2021 erging in Ecuador dieses Urteil. Klar ist noch viel in Sachen Menschenrechte, fairer Handel, u.s.w. zu tun, aber diese Entwicklung macht wirklich Mut, sich weiter zu engagieren.

Hier mehr zum Thema: https://www.oxfam.de/astac

Und hier gibt es Oles Soli-Shirts um die Arbeit der ASTAC zu unterstützen: https://www.ole-plogstedt-shop.de

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