Martin Fromme Über Comedy und Asymmetrie

Spätsommer 2020, Schachtstraße in Bochum-Hamme. Martin Fromme, einer der wenigen behinderten deutschen Comedians und ehemals Teil des legendär grenzenlosen Duos „Der Telök“, hat gute Laune. Glück auf.

MF Hier sieht es ja super aus. So richtig alter Ruhrpott.

MS Stimmt, aber ich will hier nur diese alten Garagentore als Hintergrund. Pottromantik und rostige Rohre mache ich schon lange nicht mehr. Lässt du dich gerne fotografieren?

MF Ach ja, eigentlich schon. Ich arbeite ja immer mit Oliver Haas zusammen, der fotografiert ganz viel Kleinkunst.

MS Früher habe ich auch für einige Kleinkünstler fotografiert, aber die waren irgendwie nicht treu, man hat ein paar, eigentlich gute Plakate, geknipst und plötzlich war man raus. Versteh mir einer die Kleinkünstler.

MF Zu Telökzeiten, haben wir immer mit Harald Hoffmann gearbeitet. Der ist ja wirklich eine geile Sau. Wir immer ganz viel Spass in seinem großen Studio. Er hat auch das Plakat mit dem Kreuz gemacht.

MS Ich erinnere mich, es gab damals großen Ärger. Du warst der Jesus und Dirk der römische Soldat der nicht wusste wohin mit dem dritten Nagel.

MF Oh ja, da kamen viele Katholiken zu uns und haben gesagt, das stimmt nicht, Jesus hatte zwei Arme.

MS Die Sternsinger haben mal ein Kruzifix mit einem behinderten Jesus gemacht, in einem Jahr als Inklusion ihr Kampagnenthema war. Der hatte ein kurzes Bein, er war also nicht wie du.

MF (lacht) Echt?  Das Plakat war ein großer Skandal, ein Jesus, den man nicht ordentlich kreuzigen kann. Ich bin sogar angezeigt worden. Ich bin verhört worden von der Polizei und zwar genau so, wie man sich das ganz doof vorstellt. So mit Lampe ins Gesicht. Die Fragen waren sinnlos, weil man konnte den „Straftatbestand“ ja auf dem Plakat sehen. Die Frage war doch nur, ob es überhaupt eine Straftat ist oder der Inhalt durch die Kunstfreiheit gedeckt ist. Das Ding ist natürlich eingestellt worden.

MS Die wollten euch kennenlernen.

MF Komisch war auch, dass nur ich angeklagt war, Dirk war richtig beleidigt, er wollte auch.

MS Der hat ja auch nicht öffentlich eine Religionsgemeinschaft verunglimpft.

MF Genau Dirk wurde von mir mißbraucht. Sehr oft haben die Leute nicht geglaubt, dass ich behindert bin. Sie haben gedacht, dass wir die Bilder manipulieren um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn die dann bei der Show waren, haben sie sich sehr gewundert.

MS Meine Schwiegermutter war mal bei einem Abend von euch und war geschockt, sie ist in der Pause gegangen.

MF (lacht) Die Gute, ich hoffe, sie hat es überlebt.

MS Ihr hattet heftige Programme, auf innere Filter habt ihr verzichtet, oder?

MF Solche Fragen haben uns nicht interessiert. Die Dinge durften völlig drüber sein, oder eben auch tief drunter. Wir haben immer nur gemacht, was wir selbst lustig fanden. Es hat damals großen Spass gemacht.

MS Wir haben mal in den Neunzigerjahren zusammen ein Foto in Kasperlpuppenkostümen gemacht, du warst die Prinzessin mit dem appen Arm. Wir haben draussen, ähnlich wie heute an einer bunten Wand fotografiert und da hat uns eine ältere Passantin angesprochen. Sie war ein wenig nervig hat uns gestört, aber sie war absolut nicht unfreundlich. Ich wäre so gerne im Boden versunken, als du zu ihr gesagt hast: „Scheiße, wenn man schon morgens besoffen ist“.

MF (lacht) Das war unser Stil. Frontalangriff, entweder kommt es, oder nicht. Es war grenzwertig. Viele haben das überhaupt nicht lustig finden können. Aber das Publikum ist auch nicht in Scharen weggelaufen.

MS Habt ihr viele Behindertenwitze gerissen?

MF Klar, aber wir haben auch viele Sketche gemacht, die damit nichts zu tun gehabt haben. Behinderung war nicht der übergreifende Inhalt bei uns. Aber inzwischen habe ich mich künstlerisch komplett auf dieses Thema spezialisiert. Das ist das Ding, auf das ich jetzt richtig Bock habe. Seit 2011 mache ich eine Sendung für den MDR, die heißt „Selbstbestimmt“ und da geht es nur um Inklusion und solche Dinge.

MS Bist du jetzt Aktivist geworden?

MF Nein, absolut nicht. Ein Aktivist muss immer ernsthaft sein. Der muss genau die Fakten kennen, der muss Statistiken lesen und Fragen genau beantworten können. Ein Aktivist bin ich nicht, aber vielleicht ein Botschafter. Ich bin sicher einer der bekanntesten Menschen mit Behinderung in Deutschland. Da gibt es halt nicht viele.

MS Sehr berühmt ist Samuel Koch, da konnte ja die Nation sogar live zuschauen, wie er zum Behinderten wurde.

MF Genau, er hat öffentlich um die Aufnahme in die Gemeinde der Behinderten gefleht und wir haben gesagt, komm Samuel, sei dabei, roll rein. Aber ernsthaft, er hat sich sicher vorher überlegt, dass ein Unfall passieren könnte. Du kannst doch nicht in eine solche Geschichte gehen und dich für unverwundbar halten. Dass das ZDF das damals überhaupt gemacht hat, fand ich schon sehr mutig, in einer Livesendung.

MS Auch international gibt es wenige behinderte Berühmtheiten, Stevie Wonder oder Ray Charles?

MF Und Christopher Reeve, der Supermanndarsteller. Ein Mann im Strampelanzug mit einem Suspensorium, nicht so mein Geschmack. Aber auch ihn haben wir in unsere Gemeinde aufgenommen. Er hatte einen Reitunfall.

MS Ich bin übrigens mit der Behinderung, die du hast, sozusagen aufgewachsen. Mein ältester Freund, hat genau das. Das kommt doch davon, dass sich die Nabelschnur zum falschen Zeitpunkt um den Arm legt?

MF Es kann die Nabelschnur gewesen sein, aber ich kann auch falsch gelegen haben oder es könnte an einer Mangelernährung gelegen haben. Der Ansatz des Armes entwickelt sich in sehr kurzer Zeit, dabei darf nichts schief gehen. Wenn in dieser Phase die Nabelschnur um den Arm gewickelt ist, hast du schlechte Karten. Aber im Grunde ist es eine Luxusbehinderung. Wenn schon behindert, dann bitte so.

MS Mein Freund hat immer alles gemacht, er war sozusagen nicht behindert in seinem Leben. Erst als er sich auf Jobs beworben hat, gab es Probleme. Er hat es dann irgendwann nicht mehr in die Bewerbung geschrieben, und das Thema erst bei den Bewerbungsgesprächen angesprochen. Er hat sogar seinen Motorradführerschein gemacht und ist Motocross gefahren.

MF Einarmige Motorradfahrer kenne ich auch. Es gibt auch fantastische einarmige Musiker, Gitarristen oder Drummer. Es gibt einarmige Kitesurfer, wenn ich nicht so alt wäre, würde ich das bestimmt ausprobieren.

MS Du warst auf einer ganz normalen Schule?

MF Ich sollte erst auf eine Conterganschule geschickt werden, aber da haben meine Eltern ihr Veto eingelegt.

MS Aber bist du nicht zu jung für Contergan? 

MF Ich sehe aus wie vierzig, bin aber schon achtundfünfzig. Da kannst du mal sehen, was Alkohol aus einem Menschen machen kann. Das konserviert. Der Conterganskandal war in den Jahren 61 und 62, das passt genau.

MS Also kein Contergankind, aber ein echter Wanne-Eickeler?

MF Durch und durch, ich hab mal kurz in Herne gewohnt oder in Bochum, aber aus dem Ruhrgebiet bin ich nie weggekommen. Auch wegen dem Telök damals, das wäre doch bekloppt gewesen, wenn einer in Hamburg oder Berlin gewohnt hätte.

MS Ich habe in den Neunzigern für die Zeitschrift Prinz viele Comedians aus dem Ruhrgebiet fotografiert. Man würde meinen, diese Leute sind lustig und nett, aber da waren echte Arschlöcher dabei.

MF Wir haben mit den anderen aus dem Ruhrgebiet nicht viel zu tun gehabt. Mit Helge Schneider sind wir aufgetreten, der war immer sehr freundlich und es war sehr lustig mit ihm. Mixedshows gab es nur wenig, außer vielleicht die Kalleshow und die Kompottshow. Die meisten haben ihr Ding alleine gemacht wie Herbert Knebel und die Misfits.

MS Herbert Knebel empfand ich damals als sehr unangenehm. Wir haben telefoniert um einen Fototermin auszumachen. Er wollte unbedingt wissen, wer bei der Strecke über Ruhrpottcomedy noch dabei sei. Er hat mir das so erklärt: Er und Misfits seien klar, Bundesliga halt. Tresenlesen sei gerade in die zweite Liga aufgestiegen, aber der Telök: Allerhöchstens Verbandsliga!

MF (lacht) Uwe ist ein spezieller Mensch, da muss man mit klarkommen.

MS Die Misfits haben sich ähnlich geäußert. Gerburg hat damals beim Shooting zu mir gesagt, wenn ich einen Arm ab hätte, wäre ich auch lustig. Die haben euch damals wirklich gehaßt.

MF Aber Gerburg hat doch zwei Arme. Ergo müsste sie ja doppelt so lustig sein wie ich. Ich glaube auch, dass die Misfits uns damals nicht gemocht haben.

MS Ich erinnere mich, ich fand es damals eher schäbig.

MF Besonders wenn man sieht, dass die Misfits etliche ihrer Buchungen über diverse Gleichstellungsbeauftrage bekommen haben. Sie hatten ihre Stärken, aber man sollte nicht lästern, wenn man eine eindeutige Frau/Mann-Schiene fährt und damit relativ viel Geld verdient. Da sollte man ehrlich sein und sagen: Das ist mein Geschäftsmodell und es funktioniert.

MS Habt ihr das ähnlich gemacht? So auf dem Behindertenticket?

MF Nein, haben wir nicht, das gab es auch damals gar nicht. Das ist doch auch heute noch so. Behindertenbeauftragte haben doch überhaupt keine Macht und auch nicht die Mittel um Veranstaltungen zu organisieren.

MS Gerburg ist immer noch dick im Geschäft.

MF Gerburg ist zur Grande Dame der Comedy geworden. Sie ist solo ja auch total gut. Diese verbiesterte Männernummer hat sie abgelegt. Vielleicht hat sie sich jetzt gefunden oder vielleicht hatte sie keine Lust mehr auf das Duo? Man weiß ja nicht was hinter geschlossenen Türen passiert ist.

MS Hast du eigentlich auch mal geschauspielert?

MF Ja sporadisch, in einer Folge Stromberg, das war damals meine Lieblingsserie. Ich hab einfach den Chefautor, Ralf Hussmann, angerufen. Den kannte ich noch von früher, hatte ihn aber fünfzehn Jahre nicht gesehen. Da habe ich gesagt, hömma Ralf, ich will bei Stromberg mitmachen. Und er hat gesagt, klar, komm zum Casting vorbei. Ich war mir nach dem Vorsprechen sicher, dass ich es verkackt habe. Vierzehn Tage später riefen sie an und es war alles klar. Sie fanden mich supergut. Ich dachte, dass ich nicht genug aufgedreht habe, aber genau das war es wohl. Ich habe Ralf aber gesagt, dass ich nur mitmache, wenn ich ein behindertes Arschloch spielen darf. So einen richtig fiesen Typen. Da waren wir auf einer Linie, genau das wollten die. Das war alles ziemlich cool.

MS Ich habe mir das neulich nochmal in Netz angeschaut, wirklich lustig. Die Lindenstrasse hat nicht angerufen?

MF Doch, direkt am Anfang, sie hat aber nicht angerufen, sondern ich habe mich da angeboten. Ich habe dem Geißendörfer geschrieben, dass es doch eine Alltagsserie sei, in der auch Behinderte vorkommen müssten. Er hat persönlich zurückgeschrieben und mich zum Vorsprechen eingeladen. Ich habe leider Schiss vor der eigenen Courage gehabt, ich war damals Anfang Zwanzig und hatte überhaupt keine Schauspielerfahrung. Später war ja auch ein Rollstuhlfahrer mit dabei. Geißendörfer hat die Idee aufgenommen und das fand ich fantastisch. Ich habe mich hinterher in den Arsch gebissen, dass ich das nicht hingekriegt habe.

MS Du hättest der asymmetrische Til Schweiger sein können.

MF (lacht) Genau ich könnte Tatortkommissar sein. 

MS Der einzige behinderte. Das wäre revolutionär. So bleibt für dich im Tatort nur der einarmige Bandit. Wie siehst du den Stand der Inklusion?

MF Da ist schon eine Menge vorangetrieben worden. Aber es bleibt viel zu tun. In der normalen Bürgerschicht, in der wir beide uns befinden gibt es keine Ressentiments gegenüber Menschen mit Behinderung. Aber je weiter man nach oben geht, desto dünner wird die Luft. Ich komme im Medienbereich nicht nach ganz oben, das ist unmöglich. Ich werde nicht in große Comedyshows eingeladen, weil die Macher Sorgen vor den Reaktionen haben. Sie befürchten Shitstorms.

MS Aber Inklusion bedeutet doch, dass Behinderung kein Thema zwischen den Menschen sein sollte?

MF Genau, dass man einfach nicht mehr drüber reden muss. Was ich früher im Duo gemacht habe, war fast inklusiver, als das, was ich jetzt mache. Jetzt reduziere ich sehr stark auf die Behinderung. Früher bin ich auf die Bühne gegangen, habe ein paar Sätze dazu gesagt, die Menschen wussten, sie dürfen drüber lachen und dann ging es um völlig andere Dinge. Das war eigentlich das inklusivere Format. Jetzt bin ich mehr auf den Punkt. Wenn ich auftrete, reiße ich den Leuten erst einmal den Kopf ab. Ich konfrontiere sie mit Behinderung, aber liebenswert. Die Leute erkennen sich in ihren Handlungen. Wir können dann über- und miteinander über unsere Eigenheiten lachen. Das ist der beste Weg um Menschen, die sonst nichts damit zu tun haben zu erreichen. Die Leute kommen aus der Show und haben ihre Haltung verändert.

MS Hast du jemals über Prothesen nachgedacht?

MF Vor zwei, drei Jahren habe ich mal konkret über Prothetik nachgedacht, mich hat interessiert, wie weit die Technik ist und ob das für mich funktionieren könnte. Man hat mir dann im Sanitätshaus eine myoelektrische Prothese angepasst, dabei werden die Finger einzeln durch minimale Ströme in der Haut gesteuert. Oder mit dem I-phone, aber das wäre doch bescheuert, ich kratze mit der rechten Hand auf einem Telefon rum, um die linke zu steuern. Wir haben versucht die Prothese festzuschnallen, wir haben zehn verschieden Gurte ausprobiert. Das war alles unglaublich beschissen. Ich brauche so ein Ding nicht. Vielleicht ist das was für Kinder, die damit aufwachsen. Als ich Kind war, gab es nur diesen ganz simplen Kneifer. Ich habe den bekommen, andere Kinder gekniffen und gut war. Nach einer Stunde habe ich das Ding in die Ecke geworfen und mich gefragt, was der Scheiß soll. Das hat mir nichts gebracht. Aber es gibt Erwachsene, die mit Prothesen leben, die sich Teile implantieren lassen und dann so ein Cyborgfeeling bekommen. Ich kenne Leute, die finden das richtig gut, aber ich nicht. Ich wäre dafür auch kein guter Werbeträger, wenn ich gefragt würde, müsste ich ablehnen. Bei Fiege Pils natürlich nicht. Das ist authentischer.

MS Ich habe mal David Behre fotografiert. Er ist paralympischer Sprinter. Er ist als junger Mann von einem Zug erwischt worden. Der Zugführer will nichts gemerkt haben und so ist er irgendwann in der Böschung aufgewacht und hat gemerkt, dass seine Unterschenkel weg sind. Er wäre fast verblutet. Noch im Krankenhaus hat er zufällig Oscar Pistorius laufen gesehen und entschieden auch Sprinter zu werden. David hat viele Medaillien gewonnen unter anderem Gold bei den Paralympics. Jetzt, kurz vor Karriereende gründet er überall in Deutschland Fachgeschäfte für Prothetik, das soll eine richtige Kette werden.

MF Ich denke, in Deutschland gibt es einen riesigen Bedarf an Prothetik, da wird er sicher Erfolg haben. Ich finde es toll, wie er den Schicksalsschlag angenommen hat und daraus eine so positive Sache gemacht hat. Vielleicht wäre er gar nicht so glücklich geworden, wenn das nicht passiert wäre.

MS Er sagt, er will seine Beine gar nicht wieder haben.

Das sagen alle, klingt für mich aber ein wenig komisch. Ich weiß nicht, vielleicht würde ich es gerne einmal ausprobieren, zwei Arme zu haben. Auf jeden Fall bräuchte ich dann eine neue Geschäftsidee. (lacht)

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