
Dieses Knipsgespräch ist kein Knipsgespräch. Weil ich zu dumm war und die Aufnahme der ersten Begegnung gelöscht habe. Also besuche ich Sebastian abends zu Hause, ich bringe Lasagne mit und wir führen ein Gespräch ohne Knipsen. Dafür mit zwei Aufnahmegeräten, die ich beide anschalte und vor Sebastian auf den Tisch lege. Er lacht.
Das Kind, das auf die Herdplatte gepackt hat! Sollen wir versuchen das Gespräch genauso wie beim letzten Mal zu machen?
Nein, das wird eh nicht klappen. Ich habe aber inzwischen dein neues Buch „Cogito ergo Dumm“ gelesen. Darin geht es um die Dummheit. Das passt ja gerade, da können wir drüber sprechen. Du hast dir viel Arbeit gemacht!
Ja das stimmt, leider ist das Buch am 12.3 erschienen, einen Tag nach Erklärung der Pandemie.
Aber brauchen die Leute nicht im gerade im Lockdown viel Lesestoff?
Das Buch ist ganz gut gestartet. Aber dann war es schwer. Ich konnte keine Lesungen machen, ich konnte nicht zur Leipziger Buchmesse und ich konnte wichtige Pressetermine nicht machen. Über Wochen wurde die gesamte Medienlandschaft nur von einem Thema beherrscht. Das ist schade, weil in dem Buch wirklich viel Arbeit steckt, viel Recherche und viel Vorbereitung. Viel mehr als in allen meinen anderen Büchern. Zumal ich zu dem Buch ja auch ein Bühnenprogramm entwickelt habe, mit dem ich auf Tour gehen wollte. Das habe ich bisher erst zweimal gespielt, da wird es hoffentlich im Herbst weitergehen. Live-Soloauftritte sind meine wichtigste Einnahmequelle, da geht es mir wie den Musikern. Die viele Vorbereitung war bisher leider unbezahlte Zeit.
Du kommst auf 50 Cent Stundenlohn?
So ungefähr.
Aber dafür hast du doch viel fürs Leben gelernt?
Vor allem habe ich meine Haltung zu Schlauheit und Dummheit geändert. (lacht)
Aber weißt du jetzt auch mehr mehr als vor der Recherche?
Wissen und Klugheit ist nicht dasselbe. Eines der Eingangszitate in dem Buch ist von Heraklit und hing jahrelang über meinem Schreibtisch. „Vielwisserei lehrt nicht Verstand haben“ In dem Buch gibt es ein paar Beispiele von Leuten, auch mit großem Wissen, die sehr dumme Dinge getan haben. Das ist zum Beispiel die Frau, die einen der bisher höchsten gemessenen IQs hatte, so um die 190, also absolut hochintelligent. Sie hatte so sehr Angst, wie ihre Mutter an Krebs zu sterben, dass sie extrem viel Wasser getrunken hat und daran gestorben ist. Sie hat ihre Nieren ruiniert.

Da war also ihre Angst größer als ihr Verstand?
Das ist ein Punkt um den es im Buch häufiger geht, dass sich Menschen, wenn sie von starker Emotion getrieben sind, davon abhalten lassen, ihren Verstand zu gebrauchen. Ein Beispiel, ist Gustav II. Adolf von Schweden. Der ließ im 17. Jahrhundert das bis dahin größte und am schwersten bewaffnete Schiff bauen, als ihm ein Informant steckte, dass der dänische König ein ebenso großes Schiffe bauen ließe, das aber noch zwei Kanonen mehr habe. Das konnte Gustav nicht auf sich sitzen lassen und ließ gleich zehn Kanonen mehr einbauen. Seine Schiffbauer rieten wegen Gewicht und Statik davon ab, aber Gustav ließ nicht mit sich reden und befahl: „Wir bauen das größte Schiff, mit den meisten Kanonen, fertig!“ Die Wasa ist noch bei der Jungfernfahrt im Hafen von Stockholm gesunken. Eitelkeit und Arroganz haben hier Gustav davon abgehalten seinen Verstand zu gebrauchen und auf seine Fachleute zu hören.
So etwas passiert doch immer noch?
Das stimmt, Politiker, die nicht auf Wissenschaftler hören, braucht man nicht lange zu suchen in der Welt. Wir können uns hierzulande, glaube ich nicht beklagen, wie im internationalen Vergleich mit der Pandemiesituation umgegangen wird. Auch wenn Regierungskritiker lautstark in den sozialen Netzten und auf den Straßen dagegen protestieren. Man muß nur den Fokus öffnen und in andere Länder schauen um zu erkennen, dass das Krisenmanagement hier nicht so schlecht war und ist.
Wir haben eine Physikerin als Kanzlerin.
Ja, ich denke, wir können in dieser Situation wirklich glücklich sein, dass wir eine promovierte Naturwissenschaftlerin als Kanzlerin haben. Aber gleichzeitig ist diese Regierung nicht in der Lage, die Ziele des Pariser Abkommens, das sie selbst ratifiziert hat, einzuhalten. Obwohl eigentlich allen klar sein muss, welch massiven Fehler man damit begeht. Da stellt sich mir die Frage, ob wir wirklich so so weit weg sind von der Dummheit des alten schwedischen Mannes der zehn Kanonen mehr einbauen ließ. Wir haben Experten die sagen, ihr könnt nicht noch mehr Kohlekraftwerke und SUVs haben, dann geht der Laden kaputt. Dennoch bekommen wir den Ausstieg nicht hin. Die Regierung, die die Pandemie gut managt, versagt in der Klimakrise. Auch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn. Es gibt sehr viele Länder, die das besser handhaben. Wir sind halt eine Autonation.
Der Scheuer Andi hat neulich seine eigene Geschwindigkeitsstudie abgeräumt….
…..mit der Begründung, sie würde gegen den gesunden Menschenverstand sprechen.
Meine Sorge ist, dass Wissenschaft dadurch beschädigt wird, Scheuer hätte sagen können, hier sind die Ergebnisse der Studie, aber die Empfehlungen sind politisch nicht durchsetzbar.
Ein Nebeneffekt der aktuellen Pandemie, ist es, dass viel darüber gesprochen wird, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. In den Medien und auch in privaten Diskussionen. Wir erkennen jetzt, dass Wissenschaft ein Prozess ist, dass Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Ein formal ähnlicher Moment, bei einem ganz anderen Thema, war, als Horst Seehofer gesagt hat, man brauche keine Studie zum Thema Rassismus bei der Polizei zu machen, weil der ja schließlich verboten sei. (stöhnt laut)

Das Problem ist, wenn du deine Meinung auf Hörensagen oder ein Gefühl gründest und nicht auf wissenschaftliche Ergebnisse. Zum Beispiel in der Medizin. Wenn man die wissenschaftlichen Studien mit einer größeren Anzahl von Teilnehmern anschaut, zeigt sich, dass Homöophatie keine über den Placeboeffekt hinausweisenden Wirkungen hat. Und dennoch sagen Leute, schau doch mal, bei dem und dem hat es funktioniert, er ist gesund geworden. Es hat aber vielleicht ganz andere Gründe für die Heilung gegeben. Dass ein Placeboeffekt funktioniert ist belegt, es gibt genug Leute, denen gibst du ein Stück Zucker und danach ist die Erkältung weg.
Wobei, Homöopathie ist doch in einer Zeit entstanden, in der die Therapie oft gefährlicher war als die Krankheit, da war es doch klüger nichts zu machen?
Das ist durchaus richtig und wenn ich die Wahl hätte, zwischen einem Aderlass und Zuckerkügelchen würde ich immer zum Zuckerkügelchen greifen. (lacht)
Dennoch sehe ich die Gefahr, dass man in der Herabsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse, zum Beispiel in problematischen Bereichen wie der Klimapolitik, die Leute nicht mehr mit Vernunft erreicht. Es ist wichtig, dass es eine Wählerbasis gibt, die sich nicht von Schlagzeilen oder Polemiken davon abhalten lässt, den Verstand einzusetzen. Und nicht glaubt, dass es nur linksversiffte Ökodeppen seien, die behaupten es sei wichtig die Umwelt zu schützen und sich als Menschheit nicht auf Dauer wie die Axt im Walde zu benehmen.
Der Zweifel am Klimawandel ist, auch international gesehen, eine eher rechtspopulistische Position?
Ich denke, es ist ein Thema, das sich Rechtspopulisten auf das Banner schreiben. Es ist nicht per se eine rechte Position, aber mit der Angst der Leute, ihre dicke Karre abgeben zu müssen oder nicht mehr nach Malle fliegen zu dürfen, lässt sich sehr gut Stimmenfang betreiben. Es wird mit der Angst vor Veränderung gespielt und dabei werden sehr schnell Pseudoargumente aufgefahren. Zum Beispiel, dass es sowieso nichts ändern würde, wenn nur wir hier in Deutschland auf SUVs verzichten oder auf Kohlekraftwerke, weil ja in China zehnmal mehr Kohlendioxid entsteht. Aber es leben ja auch mehr als eine Milliarde Menschen dort. Pro Kopf gesehen, ist hier der CO2 Ausstoß deutlich höher. Wir sind in der Fläche stärker industrialisiert und auch in der Breite der Bevölkerung viel reicher. Hier können sich mehr Menschen dicke Autos leisten. Und was ist das für ein Argument, wenn man sagt, ich darf etwas falsch machen, weil der andere es noch viel falscher macht. So denken Kleinkinder.
Ich bin der Meinung, dass ein Festhalten am Diesel, was sich ja viele Konservative wünschen, der deutschen Autoindustrie eher schadet. Man darf nicht vergessen, die haben statt saubere Autos zu bauen, bei der Messmethode betrogen. Das ist wie bei dem Junkie, der seine Familie beklaut, dem aber aus vermeintlicher Liebe keine Grenzen gesetzt werden. Der geht nicht in die Therapie. Die deutsche Autoindustrie könnte technologisch schon viel weiter sein bei E-Mobilität oder Wasserstoffantrieb. Wir tun der Autobranche keinen gefallen, wenn wir nicht strenge Regeln fordern. Genauso im Ruhrgebiet, hier ist die Steinkohle jahrzehntelang subventioniert worden, obwohl man spätestens in den Siebzigern wusste, dass der Bergbau hier keine Zukunft haben wird. Was hätte man mit diesem vielen Geld bewirken können?
Die Erhaltung der Arbeitsplätze in der Braunkohle wird auch in der Klimadiskussion als Scheinargument benutzt. Deutschland war vor nicht einmal zehn Jahren führend in der Herstellung von Solarzellen. Das war subventioniert und staatlich gefördert. Nachdem man den Geldhahn zugedreht hat, sind in der Solarindustrie bis zu 80.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Im Braunkohlebergbau spricht man von gerade mal 8.000 Jobs.
Ich habe mal in Bonn den Gründer von Solarworld, Frank Asbeck fotografiert. Er hatte damals ein tolles Büro, Penthouse auf einem alten Wasserwerk, schöner Blick über den Rhein, Schreibtisch groß wie anderthalb Tischtennisplatten. Er ist Jäger und an die Wand hinter seinem Schreibtisch hat er gefühlt 150 Fuchsfelle getackert und damit nicht genug, in die Augenhöhlen hat er jeweils bunt leuchtende LEDs montieren lassen.
(lacht) Nein! Das ist ein alptraumhaftes Bild.
Das war alles sehr schräg. Man nannte ihn ja auch nicht umsonst den Sonnenkönig. Solarworld ist gescheitert, als hier die Subventionen beendet wurden und sie in China begannen. Aber um noch einmal auf die Dummheit zurückzukommen, Entscheidungen sind doch oft sehr vielschichtig, kann man überhaupt immer das Schlaue tun?
Nein, das kann man nicht. Ein Grundgedanke des Buches ist, dass Dummheit zum Menschsein dazugehört und wir da gar nicht drumherum kommen. Wir sollten uns in dieser Richtung etwas lockerer machen. Es ist nicht schlimm, wenn wir Fehler machen.

Ich finde heutzutage, und besonders bei Online-Diskussionen von Laien den Dunning-Kruger Effekt interessant. Der zeigt, der Holzweg ist sehr nah und leider sehr schlecht zu erkennen.
Genau, du hast ein Buch gelesen und den ganzen Abend Youtubevideos zu einem Thema angeschaut und denkst dann, jetzt weiß ich so richtig Bescheid und das haue ich auch ungefiltert raus. Es gibt allen ernstes Menschen in den sozialen Medien, die meinen, sie wüssten über Corona besser Bescheid als der Virologe Christian Drosten. In aller Deutlichkeit formuliert, dies ist noch viel abwegiger und absurder als die klassische Position der Anmaßung, die wir im Fussball alle vier Jahre als eine Nation der Bundestrainer erleben. Um in dem Bild zu bleiben, Christian Drosten ist nicht irgendein Jugendtrainer sondern er hat absolutes Championsleagueniveau. Weltweit ist er einer der erfahrensten Experten genau zu der Gruppe Viren, mit denen wir es jetzt zu tun haben. Er hat schon Anfang der 2000er maßgeblich zur Bekämpfung ähnlicher Pandemien wie zB. SARS beigetragen. Es ist absurd, mit welcher Selbstüberzeugung nicht nur Privatleute, sondern auch Medienvertreter und zum Teil auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sagen, er labere Unfug. So geht es ja auch in der Klimadiskussion. Greta Thunberg wird ähnlich angegriffen. Dabei sagt sie ja nur, hört auf die Fachleute und folgt der Wissenschaft. Gerade in der Klimaforschung gibt es wissenschaftlich noch eine viel größere Einigkeit als in der Frage, wie man mit einer Pandemie umgehen sollte.
Die Kritik, an Greta Thunberg ist ja dann auch oft keine inhaltliche, sondern eher eine ästhetische, sie habe doofe Zöpfe, sie sei autistisch, nur ein armes behindertes Kind, das von ihren mediengeilen Eltern benutzt wird. Ich denke, das Problem, das ihre Kritiker mit ihr haben ist vor allem, dass sie im Kern recht hat.
Ich bin sicher, dass diese oberflächliche Art der Kritik nicht funktionieren wird, eben genau weil sie recht hat. Manchmal wird sie auch als verschrobene Einzelgängerin dargestellt, aber das Gegenteil ist der Fall. Bei den Klimademos, die zur Zeit verständlicherweise nicht stattfinden, sind sehr sehr viele Menschen unterwegs gewesen. Ein Vielfaches derer, die sich jetzt bei den sogenannten Hygienedemos auf die Straße begeben haben.
Das ist auch so eine Sache, die mich erstaunt hat, die Diskussion um die Teilnehmerzahl.
Da sind wir genau an dem Punkt, wo man Fakten und Gefühle gleichwertig auf eine Ebene hebt, die Wirksamkeit der Fakten wird auf eine supergefährliche Art aufgeweicht. Das ist nicht schwer zu machen. Die Menschen, die auf den Demos waren, glauben diesen abstrusen Zahlen weil sie in ihrem nahem Umkreis viele Menschen gesehen haben und dann innerlich hochrechnen. Teilnehmerzahlen kann man aber nicht schätzen, sondern nur mit Luftaufnahmen messen. Das kann man auch einem Laien leicht erklären. Man zählt kleinere Ausschnitte aus den Luftaufnahmen der Demo und rechnet das dann hoch. Damit kommt man zu recht genauen Ergebnissen und es ist ja eigentlich egal, ob es siebzehn- oder achtzehntausend Menschen waren. Es ist aber absolut unmöglich, dass man so die behauptete Millionen auf nur siebzehntausend runterrechnen könnte.
Ich denke, wenn unsere Gesellschaft funktionieren soll, müssen wir uns zumindest annähernd auf eine Realität und eine Wahrheit einigen können?
Genau, sonst funktioniert es nicht. Da kommen wir an ein Phänomen das heißt kognitive Dissonanz und dazu erzähle ich im Bühnenprogramm eine spannende Geschichte. Leon Festinger, amerikanische Sozialpsychologe ist am 20. Dezember 1954 zu der Versammlung einer Sekte, die prophezeit hat, dass um Mitternacht die Welt unterginge, gegangen. Vor dem großen Knall sollte ein Raumschiff kommen, um die Sektenmitglieder in Sicherheit zu bringen. Festinger war vorher schon bei einigen Treffen und war deshalb in der Gruppe akzeptiert. Er wollte schauen, was um 00:01 passieren würde. Natürlich ist erstmal nichts passiert. Die Leute haben zunächst gewartet, so ein Weltuntergang kann sich ja mal verspäten. Eine lustige Nebengeschichte war, dass nachts um 2:00 ein Sechzehnjähriger nach Hause gegangen ist, da, er, für den Fall dass nichts passiert, keinen Ärger mit seinen Eltern riskieren wollte. Bekanntlich ist der Weltuntergang ja nicht gekommen und, wie zu erwarten, das Raumschiff auch nicht. Später, am Morgen hat dann die Frau, die die Sekte anführte verkündet, dass ihr gemeinsamer starker Glaube und die Gebete den Weltuntergang abgewendet haben. Alle Sektenmitglieder haben sich gefreut und sich beglückwünscht. Festinger muss sich sehr gewundert haben. Das ist kognitive Dissonanz. Wenn Realität und Überzeugung nicht übereinstimmen, sind Menschen tatsächlich im Stande zu sagen, die Realität täuscht sich, Argumente, Fakten, wissenschaftliche Messungen, alles falsch und manipuliert. Wer an diesem Punkt ist, den kann man nicht mehr mit Vernunft erreichen.

Zwei Journalisten haben sich mal einen Verschwörungsmythos ausgedacht und verbreitet, den haben sie danach nicht mehr einfangen können. Damals ging es um Rauchmelder, die als Wanzen funktionieren.
Es gibt ein ähnliches historisches Beispiel. Das ist die Geschichte von Johann Valentin Andreae. Der hat sich als Student eine Geschichte über einen gewissen Christian Rosenkreutz ausgedacht, dem er alle möglichen phantastischen Eigenschaften angedichtet hat und der der Begründer eines Ordens gewesen sein soll, den es aber in Wirklichkeit nie gab. Es war vor gut 350 Jahren eine Zeit, in der Geheimbünde schwer in Mode waren und obwohl Andreae später die Geschichte aufgelöst hat, sich ein Bund im Geiste Christian Rosenkreutzes gebildet hat. Den gibt es bis heute. Die Rosenkreuzer sind überall auf der Welt aktiv. Das Abgefahrene ist, dass man weiß, das es sich bei den Rosenkreuzern um einen 350 Jahre alten studentischen, heutzutage würde man sagen, Prank handelt. Und der läuft immer noch! (lacht) Schmetterlingseffekt, ein kleiner Impuls mit weltweiten Folgen.
Durch das Internet und die sozialen Medien wird das alles ja nicht besser?
Da gibt es ein plakatives Beispiel von Jim Jefferies, einem australischem Comedian. Er sagte, dass, früher auf dem Dorf, wenn es da einen gab, der sich nicht für Männer oder Frauen interessierte sondern, etwas über das normale Maß hinaus, für Schweine, dann war das halt der schrullige Typ, der mit den Schweinen abhängt. Das wußte jeder im Dorf und es wurde nicht viel darüber gesprochen. Heute geht der Schweinefreund online und ist dort sofort Teil einer Schweinefreund-Community. Das sind die sozialen Medien. Egal wie abgefahren die Geschichte, jetzt hätte ich beinahe wieder Therorie gesagt, denn es sind ja keine Theorien, wenn man zum Beispiel behauptet, dass Politiker verkleidete Echsen sind, die in Anlagen unter dem Flughafen von Denver Adrenochrom aus Kindergehirnen zapfen um ewiges Leben für sich zu gewinnen. Egal wie abstrus eine Geschichte ist, du wirst Menschen im Netz finden, die zustimmen und dir glauben. Man muss den Verschwörungsideen allerdings eines lassen, sie sind die, zumeist die viel spannenderen Geschichten. Wie langweilig ist es, sich im Detail mit den Möglichkeiten der Einflussnahme der Landwirtschaftslobby auf verschiedene politische Gremien, auseinanderzusetzen. Wie schrill und interessant ist es dagegen doch, zu erkennen, ey, Julia Klöckner ist eine Echse.
Stimmt, das ist die lustigere Geschichte.
Sie ist aber nur so lange lustig, bis es dazu kommt, dass Leute zum bewaffneten Widerstand aufrufen. Das Gefährliche daran ist, dass es nur Wenige braucht um großen Schaden anzurichten. Es brauchte nur einen aufgehetzten Bildleser, der glaubte, Rudi Dutschke sei das personifizierte Böse und es fielen Schüsse.

Der Attentäter von Hanau fand seine Opfer in Shishabars. Wenn NRW-Innenminister Reul medienwirksam gegen Clankriminalität vorgehen will, organisiert er eine Razzia in der Brüderstraße in Bochum und stellt sich für die Kameras vor die Shishabars. Ist das nicht eine Art von Framing?
Ich glaube, da wird oft nicht bewußt genug mit umgegangen. Es wird ein negatives Licht auf eine ganze Kultur geworfen. Das bestärkt dann Leute zu glauben, dass in den Bars schlimme Dinge geschehen. Das ist absurd. Es wird der Eindruck vermittelt, Muslime seien krimineller als andere Menschen, die hier leben. Oder die Einwanderung muslimischer Menschen würde dazu führen dass Deutschland den Bach runtergeht, was ja seit zehn Jahren die zentrale These von Thilo Sarrazin ist. Alles wissenschaftlich leicht zu widerlegen, aber weit verbreitet.
Gibt es nicht auch viele Menschen, die diffuse Ängste haben, diese aber nicht spüren und benennen können und dann sogar eher rationalisieren und Begründungen suchen?
Ich denke, es gibt oft eine empfundene Ohnmacht neuen Situationen gegenüber. Dadurch wirst du sehr anfällig für einfache Lösungen, die sind dann an dieser Stelle sehr attraktiv. Es ist auch sehr leicht, den Fehler ausserhalb von sich selber zu suchen. Für Menschen ist es wichtig, das Gefühl zu haben, zu wissen, wie die Welt funktioniert. Unser Selbsterhaltungstrieb hängt sehr stark daran, dass wir wissen was los ist, dass wir Zusammenhänge erkennen und daraus Handlungsmöglichkeiten ableiten können. Das ist ganz elementar mit unserem eigenen Wohlbefinden verknüpft. Die frühen Menschen im Wald konnten nur entspannt sein, wenn sie wußten hinter dem nächsten Baum lauert keine Gefahr. Bei diffusen Ängsten kann man den Menschen sehr leicht packen und manipulieren. Angst ist der berühmte schlechte Ratgeber. Stumpf gesagt, Angst macht Menschen dümmer. Es ist nichts schlimmes, wenn man mal Angst hat und etwas Dummes tut, oder wenn man verliebt ist und etwas Dummes tut. Moralisch ist das unproblematisch. Problematisch ist es, wenn du aus Angst unmoralische oder schreckliche Dinge tust. Aber Attentäter handeln ja nicht nur aus Angst, sondern vor allem auch aus Hass. Sie sind getrieben vom Wunsch, zu zerstören und Menschen zu schädigen.
Was denkst du, kann man gegen Hass und Angst tun?
Wir alle sind in einer Gesellschaft aufgewachsen in der es latenten Rassismus gibt, oft in kleinen Maßstäben, aber kontinuierlich. Dass diese Ideen und Gefühle in unseren Köpfen sind, daran sind wir nicht schuld, aber wir sind dafür verantwortlich, uns das immer wieder bewußt zu machen. Das ist eine kontinuierliche Arbeit, die wir leisten müssen. Und deshalb, und da sind wir wieder am Beginn des Gesprächs, ist es so wichtig, dass wir unsere Entscheidungen jenseits dieser unscharfen Gefühle treffen. Wir müssen uns informieren, uns wissenschaftlich mit Themen auseinandersetzen und auf Fachleute hören. Im Fall von Rassismus heißt das zum Beispiel, dass du nicht nur mit Weißen über Rassismus reden darfst, denn dann wirst du keinen Eindruck davon haben können, was es bedeutet in diesem Land nicht weiß zu sein und wie Rassismus für diese Menschen wahrnehmbar ist. Weil dir das als Weißer nie passieren wird. Ich bin mal nachts um zwei auf dem Heimweg von einem Auftritt am Hauptbahnhof Bochum angesprochen worden, ich habe den Beamten freundlich gegrüßt und die haben abgewunken und wollten meinen Ausweis dann doch nicht mehr sehen. Ich bin sicher, diese Geschichte ist so abgelaufen, weil ich weiß wie die Kreidefelsen von Dover bin. Einem schwarzen Menschen wäre es garantiert anders ergangen. Für ein gut gelingendes Miteinander, ist es entscheidend, dass wir aus unseren gefühlten und auch durch Erziehung und Umfeld herangetragenen Sichtweisen heraustreten und unser Blickfeld erweitern und öffnen. Spannend ist ja, dass das schwieriger wird, je mehr wir über die Welt zu wissen glauben und je mehr Erfahrungen wir gesammelt haben. Weil menschliches Denken über Mustererkennung funktioniert. Ich habe bei dem Polizisten am Bahnhof automatisch ins Muster „Ungefährlich“ gepasst. Bei Schwarzen, auch mit gleichem Sozial -oder Bildungshintergrund wäre es das Muster „Gefahr“ gewesen. Es ist also wichtig, diese Mustererkennung immer wieder aufs neue zu hinterfragen und aufzubrechen. Es gibt noch viel zu tun, bis wir rational genug handeln, um nur noch schöne Dummheiten machen. Wie zum Beispiel zu viel Zuckerwatte zu essen.
Warum ist das dumm?
Dumme Frage, du bekommst Bauchschmerzen.

Termine und Infos zu Sebastian23 hier: http://sebastian23.org