GINA HALLER HIER STEHT JA ÜBERALL: VFL !

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Der erste warme Tag im Jahr. Es ist ruhig auf den Straßen um das Schauspielhaus Bochum. Coronazeit.

G Erstaunlich, niemand arbeitet. Im Moment fühlt sich jeder Tag an wie Sonntag.

M Machst du dir Sorgen?

G Ja klar, ich bin schon besorgt. Ich habe Angst um meine Familie, mein Vater hatte vor kurzem einen Herzinfarkt. Meine Großeltern sind sehr alt und daher gefährdet. Ich habe das Gefühl, dass sich die Welt gerade verändert, dass wir überhaupt nicht absehen können, was die Zukunft bringt. Wann werden die kulturellen Einrichtungen wieder öffnen können? Wann setzt man sich wieder in ein Theater. Das werden nicht alle Bühnen überleben. Der Beruf des Schauspielers ist ja allgemein schwierig und diese Krise ist ein extremer Schlag. Ich überlege schon, wie sich das weiter entwickeln wird. Kollegen von mir fragen sich, sind wir eigentlich in einem Jahr noch Schauspieler? Das klingt extrem, aber wer kann sich denn längerfristig in diesem Beruf halten? Wann sitzen wieder 800 Menschen in einem Saal und schauen sich gemeinsam ein Stück an? Theater lebt davon, dass Leute miteinander in Verbindung treten und wenn das untersagt wird, bist du hilflos. Diese Videos, die wir machen sind nicht dasselbe, das kommt dem nicht nahe. Auf der Bühne ist es schöner.

M Meine Sorge ist, dass wir nach einer langen Wirtschaftskrise, schlicht kein Geld mehr für Kultur haben werden und dass Theater deshalb schließen.

G Ein Haus wie das Schauspielhaus Bochum wird sicher bleiben, aber schau mal die kleinen Theater, wie PrinzRegent oder Theater Total, die waren ja vorher schon am Limit. Und dann haben wir viele Schauspieler in diesem Land und wenige Stellen. Denk mal an die Schauspielschüler, die gerade ihren Abschluß machen. In deren Schuhen möchte ich nicht stecken, die bekommen doch im Moment alle keine Jobs. Ich habe keine Panik, aber mir ist schon unwohl.

M Ich finde, du bist du ein mutiger Mensch, du bist immerhin sehr jung allein nach Paris gezogen.

G Mein Vater hat in Paris gelebt und zu dem wollte ich. Er wollte aber nicht, dass ich komme und so habe ich das selbst entschieden. Ich habe nach dem Abi gearbeitet, das Geld genommen und bin auf eigene Faust dahin.

M Das hätte ich mich nicht getraut.

G Damals hatte ich nicht viel Bedenken. Vielleicht war das etwas naiv. Es ist alles relativ gut gegangen, das hätte ja auch anders kommen können. Ich hatte wohl einen guten Schutzengel. Manchmal geht mir das immer noch so, dass ich Dinge ausprobiere ohne Absicherung. Du fotografierst immer wieder mal für das Schauspielhaus? Hast du bei der neuen Intendanz schon was gemacht?

M Ja, diese Backstage-Reportage bei der Jüdin von Toledo. Im Gedränge bei der Premierenfeier. Ich war sozusagen als Papparazi engagiert. Komischer Job.

G Ich habe davon nichts gesehen, wo sind die Bilder gelaufen? 

M Die liefen online auf den Socialmediakanälen vom Schauspielhauses. Ich bin ja gar kein Theaterfotograf.  Ich hätte auch keine Lust, nur das zu machen. Neulich habe ich bei „Samstag Sonntag Montag“ fotografiert, dieses Nudelstück. Und im Oval Office habe ich die Performance „Against the blade of honour“ fotografiert.

G Vielleicht ist es auch ganz gut, kein richtiger Theaterfotograf zu sein. Ich finde die besten Fotos sind oft von Fotografen, die nicht so drin sind und noch einen anderen Blick haben.

 

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M Hinter dir ist ein Rauchenverbotenschild. Hast du mal geraucht?

G Ja, ich habe mal geraucht, das war damals so ein Lifestyle. Aber jetzt schon lange nicht mehr, das bringt auch nichts, das zieht einem nur das Geld aus der Tasche.

M Ich habe bis 2002 geraucht und zwar heftig. 50 am Tag.

G Was? Krass. Wie hast du es geschafft, soviel zu rauchen ?

M  Ich habe praktisch immer geraucht, nur nicht wenn ich geschlafen habe. Ich habe nach einer Trennung aufgehört. Bis dahin habe ich wegen der Kinder nur in meinem Arbeitszimmer geraucht und als ich meine eigene Wohnung hatte, gab es keine Bremse mehr. Ich habe damals  auch im Fotolabor geraucht. Wenn ich Farbe vergrößert habe, musste ich irgendwann gegen den blauen Dunst anfiltern, um Farbstiche auszugleichen. Ich bin dann von 50 direkt auf Null. Das war hart in den ersten Tagen richtig Turkey, aber nach drei Wochen ging es. Wo hast du in Paris gelebt?

G Zuerst habe ich in der Banlieue gewohnt, in Marne la Vallée und zuletzt in Paris im 18 Arrondissement, in der Nähe vom Place Pigalle. Das habe ich mir geleistet, obwohl das wirklich schwer war. Es war eine 20qm Wohnung für 800 €. Man braucht in Paris wirklich sehr viel Geld, um leben zu können. Kennst du den Roman von Virginie Despentes „Das Leben des Vernon Subutex“?  Sie ist eine französische, feministische  Schriftstellerin, der Roman handelt von einem Pariser Plattenhändler der pleite geht und dann durch Paris tingelt und bei Freunden unterkommt. Der ist toll, da musste ich gerade dran denken.

M Ich habe ein paar Jahre in Paris als Fotoassistent gearbeitet. Ein guter Freund meines Chefs hat mit Kunst gehandelt. Immer wenn er einen guten Deal gemacht hatte, also Geld hatte, hat er im Hotel gewohnt. In Paris oder in Nizza. Wenn es knapp war, hat er bei meinem Chef gewohnt. Nach meiner Zeit in Paris wollte ich eigentlich noch nach New York gehen um dort zu assistieren. Dann bin ich aber in Bochum Vater geworden und zurück. Das habe ich nie bereut, weil es wirklich gut funktioniert, vom Ruhrgebiet aus zu arbeiten. Hier gibt es viele große Firmen und wenig gute Fotografen, in Hamburg ist das genau umgekehrt.

G Hier ist ja auch das Leben viel günstiger als in den Großstädten, es gibt mehr Freiraum. Bochum ist eine gute Stadt.

M Hast du damit gerechnet, als du gekommen bist, Bochum hat ja einen schlechten Ruf?

G Ich habe das schon von Freunden gehört, sie haben gesagt: „Bochum? Da kannst du dich freuen.“ Ich genieße, dass hier so viel Natur ist. Hier kann man atmen. Manchmal vermisse ich alte Freunde und meine Familie, gerade in diesen Zeiten. Aber die Menschen hier sind freundlich und das Theater ist wirklich toll.

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M Ihr hattet ja hier als Ensemble einen totalen Neustart, wie war das? Wie bist du hier dazu gekommen?

G Ich habe mich beworben nachdem ich ein Interview von Johan Simons gelesen habe. Es ging um seine Vision eines europäischen Theaters. Die fand ich spannend. Daraufhin habe ich ihm einen Brief geschrieben, mich beworben  und eine Einladung  zum Vorsprechen bekommen.

M Was hast du vorgesprochen?

G Maria Stuart und die Léone aus „Kampf des Negers und der Hunde“ von Koltès, einem französischem Autor der achtziger Jahre. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es klappt. Johan hat einen sehr großen Namen in der Theaterszene Deutschlands. Aber er hat mich noch in derselben Woche angerufen, mir gesagt, dass er es super fand und dass mich die Dramaturgen sehen wollten. Wie bist du eigentlich auf die Idee mit den Knipsgesprächen gekommen?

M Naja, ich fotografiere gerne Portraits und es ist leider so, dass die Magazine immer weniger Produktionen in Auftrag geben. Ich habe mir gedacht, ich schaffe den Anlass selbst. Die Bilder werden danach in meiner Agentur laif vermarktet.

G Ich habe ein paar Gespräche gelesen, ich finde gut, dass sie so frei sein können, denn oft geht es in Interviews ja nur darum, irgendein Projekt zu vermarkten.

M Ich bereite mich nicht vor und frage dann Sachen ab, die ich mir vorher angelesen habe. Ich will nicht vorher wissen, was rauskommt. Also, wenn du jetzt ein radikales politisches Statement raushauen willst, nur zu!

G Da würde mir schon was einfallen, vielleicht später. (lacht)

 

STEF4998M Du kommst aus Basel?

G Nein, aus einem Dorf in der Nähe, das heißt Arlesheim. Das Nachbardorf von Arlesheim heißt Dornach und ist eine Hochburg der Anthroposophie, das Ghoetheanum ist dort.

M Das kenn ich, da habe ich Fotos gesehen. Ich finde das architektonisch ganz schlimm, mir macht das Angst. Ich finde, es sieht ein wenig absolutistisch aus. Der Bösewicht im Bond-Film, der könnte da wohnen.

G Ja, irgendwie schon, das kann ich verstehen, dieses runde Ding sieht krass aus. Das hat Rudolf Steiner selbst gezeichnet.

M Der nicht unumstritten ist, wegen wirklich rassistischer Thesen. Wenn man das heute liest, fragt man sich, was den geritten hat, damals.

G Auf jeden Fall, ist das heutzutage anders in der Anthroposophie. Die Umgebung dort ist besonders und die Stimmung auch. Früher konnte man die Anthroposophen an ihren Wollklamotten erkennen. Inzwischen sind ja viele ein wenig ökig geworden. Mich hat das schon beeinflußt, ich war als Kind immer in deren Krankenhaus, weil meine Eltern natürliche Heilverfahren gut fanden.  Ich bin keine Anthroposophin geworden, obwohl ich viele Dinge gut finde. Die Demeter-Landwirtschaft ist ja auch eine anthroposophische Geschichte. Es ist auf jeden Fall keine Sekte, in Dornach steht allen alles offen. Sie haben eine Kantine im Goethaneum wo man gut essen kann und das zu, für die Schweiz, bezahlbaren Preisen.

M Die GLS-Bank da gegenüber, die kommt ja auch aus einer anthroposophischen Tradition. Die haben zu Beginn praktisch nur Neubauten von Waldorfschulen finanziert.

G Ich müsste mal zur GLS-Bank  wechseln, ich habe es nur noch nicht gemacht, weil es so aufwendig ist. Man muss sich die Zeit nehmen es zu machen. Meine Sparkasse ist in Bremen.

M Jetzt mache ich mal Werbung, obwohl ich kein Geld dafür bekomme. Das ist nicht aufwendig. Das dauert, so wie sie vorgeben, nur neun Minuten. Das weiß ich zufällig, weil die Agentur der GLS-Bank ein Video zum Kontowechsel bei uns zu Hause gedreht hat. Mit Sebastian 23. Er hat an unserem Tisch gesessen und in die Kamera erklärt, wie einfach das funktioniert.

G Kann man von jeder Bank wechseln?

M Ja, ich denke das geht online, du eröffnest ein Konto bei der GLS-Bank, und die melden dich dann bei deiner alten Bank ab, da gibt es anscheinend gewisse rechtlich Verpflichtungen zwischen den Banken.

G Das mache ich, ich habe ja jetzt Zeit.

M Wie gesagt, Sebastian 23 meint, das dauert neun Minuten.

G Ich sage dir später, ob das geklappt hat. Sebastian 23 ist doch der Mann von Friederike Becht?

M Genau, er ist Poetry Slammer und hat hier am Schauspielhaus viel gemacht. Ein Projekt, heißt „Dead or Alive“.

G Das machen die immer noch. Es ist eine Battle zwischen Slammern mit eigenen Texten und Schauspielern, die Texte von toten Dichtern lesen. Ich weiß nicht, ob ich das so gut könnte.  Ich habe nur ein einziges Mal bei so etwas mitgemacht.

M Ich war einmal bei „Dead or Alive“ und war gefühlt der älteste Besucher, das passiert mir normalerweise im Theater nie. Ich fand Theater eine ganze Zeit lang ziemlich blöd und bin ein paar Jahre nicht hingegangen.  Das war enttäuschte Liebe. Als ich sechzehn war, habe ich sehr viel Schülertheater gemacht und wollte dringend Schauspieler werden. Ich hatte eine Statistenrolle in „Die Weber“, Alfred Kirchner hat Regie gemacht, Claus Peymann war Intendant. Sie hatten 150 schweigende Weber auf der Bühne, zumeist Kinder und Jugendliche. Einen Tag vor der Premiere haben sie das Konzept geändert und alle Statisten rausgeworfen. Was mich schockiert hat damals. war, wie die Leute vom Theater in dem Konflikt miteinander umgegangen sind. Dramaturg und Regisseur haben sich vor dem gesamten Cast gegenseitig als Nazis beleidigt. Später kam Peymann dazu und blökte auch noch in die Menge. Ekelhaft, gestandene Schauspieler standen auf der Bühne und schauten nur betreten nach unten. Danach war mir klar, an einem solchen Ort willst du nicht dein halbes Leben verbringen. Ich weiß noch genau, ich bin raus aus dem Bühneneingang und war durch mit dem Thema.

G Dann hast du es abgehakt, das ist doch gut.

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M Vielleicht ist das ja inzwischen besser an den Häusern?

G Es kommt auf die Produktion an, es laufen immer noch viele komische Leute im Theater umher. Viele Narzissten.

M Bist du Narzisstin?

G Keine Ahnung, wahrscheinlich gehört eine gesunde Portion Narzissmus dazu, immerhin müssen wir uns ja jeden Abend vor ein paar hundert Menschen auf die Bühne stellen. Wobei, übermäßig ist das bei mir, denke ich, nicht.

M Wie kommt man eigentlich abends nach der Vorstellung runter? Ist man nicht total hochgefahren?

G Das ist schwer. Ich habe manchmal Schlafprobleme, ich bin dann so aufgepuscht und denke noch über die Vorstellung nach. Ich spaziere danach immer nach Hause. Der Körper fühlt sich so an, als würde er in den Tag starten. Wenn man dann auch noch emotional ist, ist man manchmal schlecht drauf. Ich habe mal Johan um Rat gebeten. Er empfiehlt ein Buch zu lesen. Einige Kollegen gehen auf einen Drink, ich mache das nicht. Ich versuche zu lesen, oder zu meditieren. Ich mache etwas, das mich entspannt. Es ist sehr anstrengend, wenn man am nächsten Morgen etwas ganz Anderes probt, sozusagen in noch eine andere Welt hüpft. Aber es macht auch Spass.

M Gibt es auch Projekte, die du ganz furchtbar findest? Ich fand ja dieses Stück mit der Plastikwurst am Ende ganz schrecklich. Ich hatte richtig Fremdscham und habe gedacht, die armen Schauspieler, die so etwas spielen müssen.

G Du meinst „New Joy“, das dataistische Cyber Musical. Am Ende, das war keine Wurst, es war eine Schlange. Ja, das war schwierig. Ich bewege mich und singe sehr gerne, aber das ging an die Grenzen. Das war nicht das Schlimmste, was ich gemacht habe.

M So, was denn? Brauchst keine Namen nennen.

G Lass mich mal nachdenken, es gab drei Stücke die waren wirklich grauenhaft. Da habe ich mich geschämt auf der Bühne.

M Was macht man denn in so einem Moment?

G Zähne zusammenbeißen. Bei einem der Stücke hatte ich sogar eine Hauptrolle. Das war in Trier, direkt bei meinem ersten Engagement. Die erste Spielzeit war gut, aber die zweite war katastrophal. Der Intendant war ein ziemlicher Chaot, er hat Schulden gemacht und das Theater fast an die Wand gefahren. Später ist er rausgeflogen. Er hat immer ganz schlechte Regisseure geholt.  Ich war damals Anfängerin, das war herausfordernd. Ich habe mich gar nicht wiedererkannt auf der Bühne und mich geschämt. Aber ich habe gesagt, Augen zu und durch. Jetzt würde ich das so nicht mehr machen, jetzt würde ich vorher aussteigen. Damals hätte ich mich das nicht getraut.

Zwei heftig in Walkie-Talkies sprechende erwachsene Männer gehen hektisch vorbei.

G Was ist denn da los? Ist das privat? Das verstehe ich nicht. (lacht)

M Das ist deren Hobby.

G Das ist doch kein Hobby!

M Doch das gibt es. Amateurfunker haben riesige Antennenkonstruktionen auf dem Dach um dann nachts mit Kerlen aus Südamerika oder Australien zu sprechen. Wenn es klappt, schicken sie gegenseitig Postkarten. Als Beweis.

G Au Mann, es gibt schon crazy Staff. (lacht)

M Ich fand dein Foto auf dem BODO von Daniel Sandrowski toll.

G Ja, das finde ich auch schön, wir haben das ganz spät, kurz vor Sonnenuntergang mit dem letzten Licht gemacht. Fotografieren geht jetzt besser, zu Beginn hatte ich etwas Mühe mit Fotos.

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M Was hat dir dabei Mühe gemacht?

G Da bin ich vielleicht doch nicht narzisstisch genug. Ich mag es nicht, wenn ich mitbekomme, dass jemand Fotos macht. Ich filme mich auch nicht gerne selbst mit dem Handy. Ich fühle mich dann immer steif und weiß nicht was ich machen soll, wenn jemand Momentaufnahmen nimmt.

M Ich denke, das geht ganz vielen SchaupierInnen so beim fotografieren. Das Problem ist nämlich, dass du den Moment abgibst. Du hast dann keine Kontrolle mehr. Beim Spielen kannst du immer wieder verändern, nachjustieren, nichts ist eingefroren.

G In Trier hat mal ein Modefotograf die Fotos vom Ensemble gemacht, die waren toll. Mit ihm habe ich auch über dieses Thema gesprochen. Er fand, dass Schauspieler viel zu viel nachdenken. Models seien da viel cooler.

M Dein Vater, lebt der noch in Paris?

G Nein, er lebt in der Elfenbeinküste. Er ist jetzt sehr nervös, weil die Menschen dort nicht besonders gut über Corona informiert werden. Sie haben dort auch Ausgangssperren. Das ist kompliziert, weil die Menschen dort viel ärmer sind als hier. Wenn dort die Menschen nichts mehr zu essen haben, bricht sehr schnell das Chaos los. Mein Vater hat Sorge, dass nachts eingebrochen wird. Er lebt in Abidjan.

M Fährst du manchmal hin?

M Ich habe ihn schon dreieinhalb Jahre nicht mehr gesehen. Ich wollte eigentlich in diesem Sommer hin. Das wird wohl nicht klappen und ich kann ja auch nur in den Theaterferien weg. Die Besuche sind für mich immer ein Kulturschock. Ich komme aus der Schweiz, zwar nicht aus einer reichen Familie, aber Mittelstand, und mein Vater lebt dort in großer Armut.

M Was macht dein Vater dort?

G Er hat ein Taxi, das er aber nicht selbst fährt und ein Feld auf dem er Maniok anbaut und verkauft, er schlägt sich durch. Er überlebt.

 

Wir wechseln die Location und gehen zu der Unterführung  am Bahnhof.

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G Hier steht ja überall: VfL!

M Für die habe ich zehn Jahre die Autogrammkarten gemacht.

G Und wie war das? Wie sind Fussballer?

M Es gibt interessante Typen, mit denen man sich auch über andere Dinge als Fussball unterhalten kann. Es gab einen Torwart beim VfL, der ist in der Sommerpause immer mit Rucksack auf Weltreise gegangen. Philipp Heerwagen, seine Schwester, Bernadette ist übrigens Schauspielerin und fast noch bekannter als ihr Bruder. Talentierte Familie. Hast du Sport gemacht?

G Ja, ich habe sehr unerfolgreich Tennis gespielt und ich bin geritten. Ich weiß, viele Menschen denken, das sei kein Sport, aber ich habe das als Jugendliche sehr intensiv gemacht. Fünf Jahre, fast jeden Tag. Meine Tante hatte Pferde, um die durfte ich mich kümmern. Ich habe gedacht, ich kann Dressurreiterin werden, aber dann gemerkt, dass das doch nicht meine Bestimmung ist. Meine Cousine hingegen, die ist im Schweizer Springteam.  Aber ich muss mich viel bewegen, im Moment, ohne die Bühne werde ich fast verrückt. Bälle waren nie mein Ding, obwohl meine Mutter Handballspielerin war und einmal sogar Schweizer Meisterin war.

M Und da musstest du nicht Handball spielen?

G Meine Mutter hat mir immer freie Hand gelassen. Sie fand es ok, dass ich Schauspielerin geworden bin. Meine Mutter und ich, wir hatten unsere Probleme und ich bin schon mit sechzehn ausgezogen, aber ich durfte immer alles machen. Da war schon fast zu wenig Interesse, nach dem Motto, mach doch was du willst. Mein Vater hatte eher Bedenken, er wollte früher Filme machen und war der Meinung, man brauche vor allem Talent für den Beruf. Er hat mich gefragt: „Bist du sicher, dass du das auch wirklich kannst?“ Ich habe mich sehr spät entschieden, Schauspielerin zu werden, erst mit deutlich über  zwanzig. Ich wusste relativ lange nicht genau, was ich machen will im Leben. Ich wollte auf keinen Fall Wirtschaft oder Jura studieren. Das hat mich alles nicht interessiert. Geschichte hätte ich mir vorstellen können. Mein Opa war Hobbyarchäologe und ist immer so viel gereist. Er war in Syrien und viel in Griechenland und hat bekannte Archäologen begleitet. Er hat immer ganz spannend davon erzählt.

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M Wie bist du Schauspielerin geworden?

Mein Plan war, in Paris am Conservatoire vorsprechen, aber sie sagten mir, ich müsse erst einmal einen Vorbereitungskurs an einer privaten Schauspielschule besuchen. Das konnte ich mir nicht leisten. Es gibt den Cours Florant, das ist eine private Schauspielschule mit einem besonderen Konzept. Dort haben sie eine Klasse, die Classe Libre Promotion, die keine Schulgebühren kostet. Dafür macht man eine Aufnahmeprüfung, die geht über drei Runden, also ganz ähnlich wie hier. Diesen Kurs habe ich zwei Jahre lang  gemacht. Danach wollte ich aber doch noch in Deutschland oder der Schweiz auf eine Schauspielschule. Ich war fünfundzwanzig und damit für einige Schulen schon zu alt. In Zürich und Bern durfte ich mich noch bewerben. In Bern haben sie mich genommen. Ich habe die Aufnahmeprüfungen heimlich gemacht, ich glaube, ich hätte mich geschämt, wenn ich nirgendwo genommen worden wäre. Aber erst als ich nach der Schule mein erstes Engagement bekommen habe, war ich mir sicher, dass ich eine richtige Schauspielerin bin. Jetzt ist es so. (lacht)

M Kannst du die vorstellen, auch irgendwann damit aufzuhören?

G Mich interessieren viele Dinge, ich kann mir gut vorstellen, etwas neues anzufangen. Vielleicht doch noch Geschichte. Der Bruder meines Opas hat mit über 60 angefangen Religionswissenschaften zu studieren.

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Zwei ziemlich dichte Typen unterbrechen uns und laufen laut schimpfend durch durch die Unterführung.

G Für die Junkies ist es im Moment bestimmt sehr schwer, sie wissen vielleicht gar nicht so genau was gerade abgeht. Vor dem Rewe steht immer eine Gruppe Obdachloser, was soll die Polizei denn da machen?  Sie können doch nicht auf eine Kontaktsperre bestehen, wo sollen sie denn hin?  Nach Hause gehen? Das ist sehr tragisch. Diese Suppenküchen, sind die überhaupt noch auf?

M Ich habe gehört, dass die Tafeln Probleme haben, weil die Supermärkte durch das Hamstern nicht mehr genug abzugeben haben. Wobei, ich finde, es ist eh ein Skandal, dass unser Sozialsystem von Tafeln abhängt. Ich finde, Sozialhilfe muss so hoch sein, dass niemand betteln muss. 

M Machst du manchmal Filme?

G Ja ich drehe manchmal, aber nicht sehr oft.  Ich möchte Dinge machen von denen ich überzeugt bin. Lange war es für dunkelhäutige SchauspielerInnen schwierig. Ist es eigentlich immer noch. Ich hatte in Paris eine ganz gute Agentur, aber meine weißen Kolleginnen hatten zehn Mal mehr Castings als ich. Für mich blieben immer Klischeerollen, das hat mich wirklich frustriert. Und auch jetzt ist es so, die interessanten Projekte werden mehrheitlich weißen Schauspielerinnen angeboten. Da sind wir noch nicht so richtig weit, in diesem Punkt.

M Was denkst Du, woran liegt das?

G Das hat was mit der Geschichte Europas zu tun. Integration geht einfach schleppend voran. Aber was heißt eigentlich Integration? Ich bin die zweite Generation, ich bin geboren in Europa. Es war lange unüblich an den Theatern, dass People of Color fest engagiert waren. Wir hier in Bochum oder die am Gorki in Berlin sind da Vorreiter. Wenn man etwas zurückschaut, dann sieht man, dass es schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler im Alter von sagen wir, Mitte fünfzig  gar nicht gibt in Deutschland. Das spiegelt sich auch im Film wieder. Ich habe keine Lust immer nur den Flüchtling zu spielen. Klar, jetzt versuchen sie weiter zu gehen und sich zu öffnen. Aber dann bist du als Schwarze eben die beste Freundin der Hauptfigur. Das widerstrebt mir. Ich identifiziere mich als schwarze Frau, aber vor allem fühle ich mich als Europäerin und als Schweizerin. Ich bin hier groß geworden, ich fühle mich in Afrika genauso fremd wie du, ausser dass ich einen Vater habe, der in der Elfenbeinküste lebt. Aber ich kenne mich dort absolut nicht aus.

M Habt ihr zuhause auch afrikanische Kultur gelebt?

G Nein, mein Vater war ja gar nicht oft da. Er hat in Paris gelebt und ist gependelt. Er war manchmal an den Wochenenden da und eigentlich nie sehr präsent. Deswegen fühle ich mich als Schweizerin. Hier in Bochum darf ich jetzt Rollen spielen, von denen ich vorher nur träumen konnte, aber im Film ist das immer noch ein weiter Weg.

M Gibt es denn genug Geschichten?

G Ich glaube, das sind die Sehgewohnheiten. Die Leute tun sich unglaublich schwer damit, zu akzeptieren, wie inzwischen die Normalität ist. Obwohl sie das tagtäglich so erleben. Und dann sieht man im Film auch nicht die ganz schwarzen SchauspielerInnen, sondern eher die, die gemischt sind. Selbst da gibt es Abstufungen, was von der Gesellschaft toleriert wird. 

M Florence Kasumba spielt jetzt ein Tatortkommissarin und sie ist ziemlich schwarz.

G Ja natürlich, es wird immer mehr. Aber es ist immer noch nicht richtig, es werden nur Quoten erfüllt. Ich bekomme auch häufig komische Anfragen. Ich habe mal vor ein paar Jahren in einer großen internationalen Produktion eine amerikanische Ureinwohnerin, also Indianerin gespielt, mit Perücke. Ich habe das damals gemacht, aber ich fand das völlig absurd, weil ich damit nicht im entferntesten etwas zu tun habe. In meinem ersten Film habe ich eine Frau aus Madagascar gespielt. Es gibt doch auch in diesen Ländern tolle Schauspieler, ich finde das sogar beleidigend.

M Hast du denn auch direkten Rassismus mitbekommen?

G Ja, immer wieder. Die Frage nach meiner Herkunft nervt. Ich bin auch schon oft Neger genannt worden. Häufig von älteren Menschen, jüngere wissen eher, dass man das Wort nicht mehr gebraucht. Ich habe aber auch schon  Dreißigjährige erlebt, die Schwarzafrikaner als Affen tituliert haben. Beschimpfen ist eher selten. Es gibt unterschiedliche Stufen von Rassismus, in der Schweiz passiert häufig, was man Racial Profiling nennt. Es ist Rassismus, wenn ich ständig  von der Polizei angehalten werde und der Pass besonders kontrolliert wird, geschaut wird ob es eine Fälschung ist. Wenn ich lange Haare habe, wird mir in die Haare gegrapscht.

 

M Das sind alles Dinge, die ich als mittelalter, weißer und heterosexueller Deutscher nie, wirklich nie erleiden muss. Einmal habe ich etwas erlebt, das war kein Rassismus, hatte aber mit meiner Nationalität zu tun. Ich war während der WM 2014 in Frankreich und zum Endspiel in Tours bei meiner Schwester. Wir wollten das Spiel bei einem französischem Bekannten sehen, sind aber, mit der Begründung, das er das Spiel nicht mit Deutschen schauen wolle, ausgeladen worden. Obwohl ich wusste, das sich dieser Typ völlig, dumm und lächerlich benimmt, war ich dennoch gekränkt.

G Nach dem Amoklauf von Hanau, habe ich nach der Vorstellung eine Rede gehalten und zu einer Diskussion über Rassismus eingeladen. Da sagte eine Frau, dass sie in Indonesien auch immer an den Haaren angefasst werde. Aber das ist nicht dasselbe, man kommt aus dem wohlhabenden Europa, man ist der reiche Tourist. Als Weißer ist man immer in einer Machtposition.

 

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