Patrick Joswig, Jg 75 ist ein Wattenscheider Junge, Schauspieler, Autor, Sprecher, Dekorateur und zertifiziertes Jenseits-Medium ….
M Läuft bei Dir……
P Ja, seitdem ich diese beiden Kinofilme gemacht habe, „Junges Licht“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“ läuft es gut. Ich habe den ganzen November in der Nähe von Hannover gedreht. „Mata Hari“ mit Natalia Wörner und Nora von Walstätten. Ich habe eine Hauptrolle.
M Auf den Fotos, die es schon gibt von dem Film, siehst du sehr bürgerlich aus, gar nicht wie ein Ruhrpottproll. Den hast du ja oft gespielt.
P Das wurde Zeit, dass ich über den Tellerrand blicken darf. Ich spiele in „Mata Hari“ einen Geheimagenten. Nicht wie sonst so oft den falsch Verdächtigten in irgendwelchen Krimiserien. Die „Mata Hari“ Dreharbeiten waren super. Kleine Produktionsfirma, spezialisiert auf Dokudramen. Die Produktion gehört Sandra Maischberger. Die haben vorher „Der gute Göring“ und einen Film über Otto Weidt, das ist so ein Schindlers Liste-Thema, gemacht. Die Anfrage für „Mata Hari“ war schräg. Ich hatte Langeweile und habe auf Phönix „Otto Weidt“ geschaut und fand das richtig gut. Zwei Stunden später kam eine Mail und ich hatte die Rolle in Mata Hari. Vielleicht sollte ich mir mal mehr Hollywoodfilme anschauen.
M Den neuen Star Wars schon gesehen ?
P Ja, aber George Lucas hat nicht angerufen. (lacht)
M Eine grosse Chance, so eine Rolle. Nervös gewesen?
P Ich war schnell ruhig. Der Fahrer der Produktion hat Gespräche mitbekommen. Die waren wohl alle sehr begeistert von mir. Das hat er mir natürlich gepetzt.
M Du hattest also einen V-Mann.
P Ist ja auch ein Agentenfilm.
M Ich finde übrigens, dass viele Schauspieler wahnsinnig sind.
P Die sind alle wahnsinnig. Das ist normal. Wenn du Glück hast, arbeitest du im Monat an drei Tagen und an den anderen musst du zusehen, dass du nicht durchdrehst. Du musst warten, denn du kannst es ja nicht forcieren. Du kannst einmal im Jahr alle Agenturen anschreiben, aber dann ist der Drops auch gelutscht.
Bald ist Berlinale. Horrorveranstaltung. Da musst du auf den Agenturempfängen mit allen quatschen. Ein Viehmarkt. Da kommen die Caster und du redest irgendeinen Mist. Um drei trinkst du schon Rotwein. Ab fünf wird es dann lustig. Spiel der Eitelkeiten. Und oft bringt das nichts. Ich habe Freunde in Berlin, denen darf ich gar nicht erzählen, wieviel ich drehe, weil ich weiß, dass die seit drei Jahren keinen Drehtag mehr hatten.
M Ich kenne einen Schauspieler, der hat, wenn er nicht gedreht hat, sein Geld mit Finanz-spekulationen verdient. Der hatte an seinem Rechner einen Aufkleber, darauf stand: Limit 75K.
M Du bist nebenher Autor ?
P Genau, zusammen mit Bastian Schlange mache ich die „Wattenscheider Schule.“ Wir besuchen verrückte Randgruppen und schreiben darüber Reportagen. Wir waren bei Jesus Freaks, Zeugen Jehovas oder Maskulinisten.
M Maskulinisten?
P Das ist die Gegenbewegung zu den Feministinnen. Bei denen ist halt die Mutti an allem schuld. Für sie sind die Frauen alle scheiße, und wir müssen wieder harte Männer werden und zusammenhalten. Eigentlich war das fast wie ein Tantrakurs, so ein Hippiding. Es gab Brote mit Sprossen und alkoholfreies Bier. Am Ende haben sich alle nur über rasierte Mösen unterhalten.
Danach haben wir uns zum Jenseits-Medium ausbilden lassen. Jetzt können wir mit den Toten reden. Das ist ziemlich einfach, wenn man einer 75jährigen erzählt, ich sehe in der Jugend viel Hunger und Leid (lacht). Ich habe sogar ein Zertifikat bekommen.
Leider haben wir jetzt länger keine neuen Geschichten mehr gemacht, aber wir lesen regelmäßig in Berlin. Da kommen dann viele Ex-Ruhrgebietler, oft zwei- oder dreihundert Leute. Hier kommen nur achtzig zu unseren Lesungen. Irgendwie sind die Leute im Ruhrgebiet lethargisch geworden. Das Interesse ist weg.
M Aber deshalb bist du nicht nach Berlin gegangen?
P Nein, nach Berlin bin ich der Liebe wegen gegangen. Dann war die Liebe weg und ich musste mich in die Stadt verlieben. Ich habe noch in keiner Stadt gewohnt, in der die Menschen so aufblühen, wenn der Frühling kommt.
M Es gibt aber auch wenig Städte, in denen der Winter so scheiße ist. Da stinkt es im Winter mehr nach Kohleofen als hier im Ruhrgebiet.
P Berlin stinkt überhaupt viel mehr. Auch nach Pisse. Und es gibt unglaublich viele richtig Kaputte in Berlin. Hier im Ruhrgebiet gibt es die auch, aber versteckter. Jetzt gab es genau in meinem Kiez diese zwei Angriffe. Auf die Frau, die die Treppe runter getreten wurde und auf den Obdachlosen, der in der U-Bahn angezündet wurde.
M Meinst Du das war Zufall oder liegt es am Ort ?
P Nein das ist kein Zufall. So ist Neukölln. Da sitzt Du im Café und plötzlich gibt es eine Messerstecherei. Die Sonnenallee ist inzwischen fest in arabischer Hand. Die machen die Dinge unter sich aus, da machst Du nix. Aber so langsam wird auch hier immer heftiger durchgentrifiziert und die Volvos und Saabs sammeln reihenweise Kinderwagen auf.
Als ich nach Berlin gezogen bin hatte ich einen Nachbarn, der hat im großen Stil Speed gekocht. Ich bin drauf gekommen, als er mal seine Sporttasche für eine Stunde bei mir unterstellen wollte. Da waren bestimmt zwanzig Kilo Speed drin. Ich habe ihn bei einer seiner Verkaufstouren durch die Shisha-Bars begleitet. Spannend. Die Bars sehen vorne ganz bieder und aus, aber im Hinterzimmer stehen die Whiskyflaschen auf dem Tisch und es werden Drogen in großen Mengen verdealt. Alle Geschäfte in bar. In einem Club hat er in einer Stunde zweitausend Euro gemacht.
Ich war mal einen Monat weg und als ich zurückkam standen ein paar Kühlschränke voll mit Speed in meiner Wohnung. Da war alles aus. Mein Nachbar ist dann observiert worden, wir hatten uns schon über den Wohnwagen vor der Tür gewundert. Als ich nach Weihnachten von Muttern zurückkam, war seine Wohnung mit Polizeiband gesperrt. Da wusste ich, er sitzt in Moabit. Die haben viele tausend Euro in seiner Wohnung gefunden. Wahnsinn. Aber das ist alles schon lange her.
Gottseidank hat er den Absprung geschafft. Jetzt macht er eine Tischlerlehre. Früher hat der nie was auf die Kette bekommen, aber der Knast hat ihn echt geläutert. Und seine Freundin. Feste Freundinnen machen die Männer ruhiger.
M Wir leben in aufgeregten Zeiten, siehst du eher schwarz für die Zukunft ?
P Schwer zu sagen. Ich glaube, wir sind in den Neunzigern im Popcorn groß geworden. Unser Gefühl war: Alles super, Kalter Krieg vorbei, wir brauchen nur Parties und Techno. Hedonismus ahoi. Das hat sich schon gewandelt. Wir erzählen seit fünf Jahren, dass das nächste Jahr besser werden muss und eigentlich wird es von Jahr zu Jahr beschissener. Jetzt sagen alle, dass 2016 zum Glück vorbei. Schon wegen der vielen toten Stars. Aber dass George Michael ausgerechnet an Weihnachten gestorben ist, das war schon ein gutes Timing von ihm. Last Christmas. Nichts Böses über Tote aber der Song ist furchtbar, der macht dir alle Hirnwindungen kaputt.
M Ein Glück dass Elvis noch lebt.
P Aber der ist doch beim Kacken gestorben.